Eindrucksvolle Demonstration des BürgerInnenwillens

Stressfrei auf der Frankfurter Allee
Kurz vor Ablauf der Einwendungsfrist gegen die A100-Verlängerung am kommenden Donnerstag, 23. April, veranstalteten die GegnerInnen dieses unsinnigen, rückwärtsgewandten Verkehrsprojekts − allen voran die BISS − am gestrigen Sonntag (19. April) mit über 2000 TeilnehmerInnen eine machtvolle Rad-Skater-Demo*. Auch B’90/Die Grünen und der BUND (und nicht zuletzt die Bäume am LWK ;)) hatten dazu aufgerufen und sich angesichts dessen sogar die Meterologen kurzfristig eines anderen besonnen: Bei idealen Witterungsbedingungen − strahlender Sonnenschein bei moderaten Temperaturen − ging’s vom S-Bhf. Treptower Park, wo das Straßenmonster seine Blechlast ausscheiden würde, entlang deren mutmaßlichen Hauptweg über Elsenbrücke, Strahlauer Allee, Warschauer Straße zur Frankfurter Allee, deren AnwohnerInnen sicherlich mit einer Reduzierung ihrer Lebenserwartung zu rechnen hätten.

Zwischenkundgebung vorm Roten Rathaus
Auf der Zwischenkundgebung vorm Roten Rathaus sprach zunächst Andrea Gerbode von der BISS zu den Massen, währenddessen Einwendungsvordrucke verteilt und, an Ort und Stelle ausgefüllt, gleich vom „mobilen Postamt“ auf einem Fahrrad-Gepäckträger entgegengenommen wurden. Frau Gerbode rekapitulierte noch einmal die umfängliche Liste alles dessen, was dem Asphalt zum Opfer gebracht werden soll, und legte dabei das Schwergewicht auf den Natur- und Artenschutz: Ca. 300 Obstbäume, aber auch ein Dutzend über hundertjähriger Platanen und eine Vielzahl von Kleinbiotopen, denn die ökologische Bedeutung innerstädtischer Kleingartenkolonien werde nach wie vor weit unterschätzt. Mit den bedrohten ca. 400 Gärten würden Niststätten von gefährdeten Vogelarten wie Haubenlerche und Pirol, Fledermausquartiere, Unterschlupfmöglichkeiten für Igel oder auch Vorkommen von über vierzig Hautflügler-Arten bedenkenlos vernichtet.

Franz Schulz
Franz Schulz, grüner Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg und wie seine Partei seit langem erklärter Gegner des Projekts, bekräftigte noch einmal, dass sein Bezirk mit den Stimmen von SPD und Linken gegenüber SenStadt eine „negative Stellungnahme“ zum Vorhaben abgeben werde und rief die Versammelten auf, noch rasch möglichst viele individuelle Einwände zu erheben, um es der Senatsverwaltung beim Abwägen nicht gar zu einfach zu machen. − Der Bürgermeister verwies auf den rückläufigen Autoverkehr in der Stadt, dem offenbar durch Straßenneubau entgegengewirkt werden solle − ein völlig verfehltes Signal der Landesregierung.

Jutta Matuschek und Christian Ströbele
Jutta Matuschek, für die Linke im Abgeordnetenhaus, mit Wahlkreis im betroffenen Treptow-Köpenick, sprach sich ebenfalls vehement gegen die Pläne aus, die ihre Partei in der regierenden Koalition bekanntlich mitträgt. Um innerstädtische Bezirke, die aber eine relativ geringere Wohnbebauung aufwiesen, zu entlasten, würde der Verkehr in dicht bewohnte Außenbezirke verlagert. Aber einem „Innen hui, außen pfui!“ werde sie nicht zustimmen, auch deshalb nicht, weil zu beobachten sei, dass gerade Bezirke mit solchen Trassen regelmäßig auch zu sozialen Problemzonen verkämen. Aber die mehrheitlich besonders im Ostteil der Stadt beheimateten Autonarren gäbe es nicht zuletzt in ihrer Partei.

Mobiles Postamt
Der Senat habe zur Erreichung der Klimaschutzziele schon Millionen in sehr sinnvolle Projekte wie etwa die energieeffiziente Sanierung öffentlicher Gebäude investiert, den Bau eines neuen Kohlekraftwerks gestoppt etc., drohe nun aber auf Druck mächtiger Lobbys wie der Bau- und Autoindustrie, aber auch Anschütz, alles auf den Weg gebrachte zu konterkarieren.
Der Lärmteppich der Autobahn mit einer Breite von 400 Metern würde sich auch über den Treptower Park breiten, wo sich doch hier im Gegenteil die Gelegenheit biete, dieses Gartendenkmal und Naherholungsgebiet durch konsequente Lärmschutzmaßnahmen weltberühmt zu machen.

Canan Bayram
Canan Bayram, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, signalisierte, dass es auch dort bröckele. Sie jedenfalls, die in Xhain wohne und ihre Kinder genau entlang der Demo-Route täglich zur Schule bringe, habe es genossen, einmal nicht als Radfahrerin von der Blechkarawane an den Rand gedrängt zu werden, sondern einmal unbehelligt die Straße benutzen zu dürfen.

Vorm Brandenburger Tor
Als Schlussredner erinnerte Christian Ströbele, Fraktionsvize der Bundestags-Grünen und Xhainer Direkt-Kandidat, an die Binsenweisheit, dass schöne neue breite Straßen schön viel neuen Verkehr erzeugten, Autobahnen noch mehr Verkehr und die Zufahrten ihn in die Wohnviertel von Neukölln, Xhain, Treptow, Lichtenberg trügen.

Ein Transpi wird angebracht
Ströbele verwies auf die Frischluftschleuse, die von Westen her für die Ventilation der östlichen Innenstadt so wichtig sei und unter keinen Umständen erhitzt, verrußt, verschmutzt werden dürfe, um dann die Gesundheit der BürgerInnen zu gefährden.
Und was könne man nicht alles mit den 435 Mio Euro, die diese absurd teuren dreieinhalb Kilometer nach jüngsten Schätzung kosten sollen, für den ÖPNV tun, für die fahrradgerechte Stadt usw. Deshalb könne es nur heißen: „Hop! Hop! Hop! A 100 Stopp!“ − Und die Menge, die unterwegs recht still geradelt und geskatet war, skandierte dankbar den Slogan.

Gärten statt Autobahnen!
Weiter ging’s durchs Brandenburger Tor und, nach einem Abstecher zum Reichstag, an Siegessäule, leuchtend frisch belaubtem Tiergarten und vornehmem Diplomaten-Park vorbei wieder zurück nach Osten bis zum stillen Köllnischen Park, wo vis-à-vis der imposanten „Trutzburg“ des Märkischen Museums Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer residiert. (Womöglich, kommt einem in den Kopf, lässt sie sich in ihrem sturen Trotz am Festhalten musealer Pläne zur autogerechten Stadt vom Blick aus dem Bürofenster inspirieren.)
Die unterdessen noch angewachsene Masse der TeilnehmerInnen an der Abschlusskundgebung ließ sich nicht davon beirren, dass die Behörde sonntags ziemlich verwaist ist. Das bekannte Plakat wurde ans Portal geheftet, ein Polizist pflanzte sich daneben auf, und Harald Moritz von der BISS sprach das Schlusswort: Er mahnte noch mal, bis Mittwoch Einwendungen zu schreiben und erinnerte daran, dass nicht nur der Autobahnbau Geld koste, sondern auch der Widerstand dagegen.

Einwendungsclown propagiert Potenzierung
Sogleich wanderten noch zahlreiche Einwendungen in den mobilen Postkasten, dann trat eine Truppe Clowns auf, die Einwände gegen die Einwendungen erhoben und mehr Autobahn forderten, ja, einander überbietend, schließlich für jedes Auto eine eigene, so dass man sie viele Stockwerke hoch bauen müsse, bis man die Sonne nicht mehr sehen und endlich die Milch mit dem teuren Lichtschutzfaktor spare. Die vielen teilnehmenden Kinder waren begeistert, der Einwendungspostkasten wurde auf einen Teppichläufer entleert, und da der Briefschlitz der Senatsverwaltung kindgerecht niedrig angebracht ist, stopften die Kleinen stapelweise die Karten hindurch. Vorher waren aber noch drei ausgelost worden, und als Gewinn gab’s das A100-Survival Kit mit Atemmaske und Feinstaubwedel.
Es war eine so schöne wie eindrucksvolle, so kreativ-spaßige wie friedfertige Demonstration, dass die Betroffenen und mit ihnen nicht nur OppositionspolitikerInnen, sondern auch solche aus den regierenden Parteien dieses Vorhaben, mit einem ganzen Strauß triftiger Gründe und Argumente bewehrt, leidenschaftlich ablehnen.

Ab die Post!
* Unerfindlich, wieso die Hauptstadtpresse nur von 1500 schreibt, wenn sogar die Polizei, die sich im Übrigen sehr zurückhielt und vornehmlich mit dem Beruhigen aggressiv-ungeduldiger Autofahrer beschäftigt war, vor Ort von 1800 DemonstrantInnen sprach, und die Polizei untertreibt in solchen Fällen bekanntermaßen gerne.