KreuzbergerInnen wollen keinen „Grünen Kanal“!
Denkmalgerechte Tieferlegung wird abgelehnt – Baustadträtin erklärt Fällmoratorium
Die mit Spannung erwartete BürgerInnenversammlung zur Diskussion der umstrittenen denkmalgerechten
Rekonstruktion des Luisenstädtischen Grünzugs am Montagabend (21.4.) erfreute sich überraschend großen Zulaufs, der sich gewiss nicht der Informationspolitik des Bezirksamts verdankt. Schon zur Ortsbegehung ab Drachbrunnen/O-Platz drängte sich ein knappes Hundert Interessierte: Jung und Alt, Deutsche und MigrantInnen, aus Kreuzberg wie aus Mitte sowie aus ganz verschiedenen sozialen Schichten.
Eigentlich sollte es zunächst nur um den Abschnitt von Waldemarbrücke und der durch BürgerInnenwiderstand geretteten
Pappelgruppe bis O-Platz gehen, doch Berlins oberster Gartendenkmalpfleger, Klaus Lingenauber, eilte sogleich zur archäologischen Grabungsstätte nahe Ritterstraße und versuchte mit Emphase, die skeptische Laienschaft von der Einzigartigkeit der kürzlich freigelegten Treppen nebst ihrer Wangen („…so nennen wir das“) zu überzeugen. Nach dem Entwurf des damaligen Berliner Gartendirektors Erwin Barth seien sie aus einem ganz speziellen Kalkstein erbaut worden —, der in der Weimarer Zeit in Berlin allerdings vielerorts Verwendung gefunden habe. Da Barth aber auch Denkmalschützer gewesen sei, habe er Peter Lennés Kaimauer in seine Konzeption einbezogen und den ursprünglichen Kanalbau in seiner Parkanlage gewissermaßen aufgehoben. Mithin hätten wir hier Relikte des 19. wie des 20. Jahrhunderts vor uns, die man so nicht vermutet hätte.
Die Gestaltung des Grünzugs im Anschluss an die IBA 1984 habe sich jedoch um das Barthsche Werk nicht geschert und gänzlich anderes geplant. So gelte es nun, Barths geniale Idee des „Grünen Kanals“ zu rekonstruieren, indem der Mittelweg, die Kanalsohle, 1,60 m tief gelegt und die „Böschungen“ dann in zwei Terrassen oder Stufen nach und nach auf Straßenniveau gehoben würden. Nahe der Waldemarbrücke, wo der Weg bereits entsprechend tief verläuft, war mit Flatterleine diese Struktur veranschaulicht —, und die Sorge, dass auch hier demnächst gebaggert würde, erwies sich wenigstens als unbegründet.
Auf der unteren Terrasse also sei Rasen vorgesehen, auf der zweiten Stufe gebe es niedrig wachsende Pflanzen, und erst oben würde dann beidseitig eine Reihe ökologisch höherwertiger Bäume wie Linden oder Platanen gepflanzt. Die Pappeln, als schnell wachsende, aber eher minderwertige Weichgehölze immer dann verwendet, wenn rasch Resultate erzielt werden sollten, müssten, da sie durch Verschattung den wertvolleren, langsamer wachsenden Harthölzern das Licht nähmen, wie Frau Bergander vom Planungsbüro TOPOS sogleich anhand einer jüngeren Platane, die neben einer stattlichen, wohl vierzigjährigen Graupappel dahinkümmert, demonstrierte —, die Graupappeln jedenfalls müssten dieser Konzeption weichen, vom Strauchwerk ganz zu schweigen.
Die BaumschützerInnen, so mahnte Lingenauber, sollten aber bedenken, dass nicht nur Bäume gefällt, sondern auch neue gepflanzt würden. Auf die Frage, wie lang denn die Strecke werde, die er als „Grünen Kanal“ tieflegen lassen wolle, wich der Denkmalschützer aus: erst mal müsse man die weiteren Sondierungen abwarten. Der Vorschlag, die jetzt freigelegte Treppe samt Wangen als begehbares Baudenkmal zu restaurieren und es dabei bewenden zu belassen, konterte Baustadträtin Jutta Kalepky mit einem abfälligen: „Ja: in die Vitrine…“
Gegen 19 Uhr verfügte sich die auf ca. 150 Personen angewachsene Menge zum eigentlichen Versammlungsort, dem großen Saal im Kulturzentrum der Alevitischen Gemeinde, die an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für ihre Gastfreundschaft bedankt sei!
Für die technische Organisation aber war das Planungsbüro Stattbau zuständig, für die Moderation das Bezirksamt, in diesem Fall Baustadträtin Kalepky und Frau Beier vom Grünflächenamt, und man konnte sich zeitweise des Eindrucks nicht erwehren, dass der insgesamt reichlich chaotische Verlauf dieser Auftaktveranstaltung zu einer echten Bürgerbeteiligung, den einige TeilnehmerInnen sogleich bitter beklagten, wenn nicht bewusst herbeigeführt, so doch zumindest billigend in Kauf genommen wurde.
Die Akustik ließ durch schlecht ausgesteuertes Equipment arg zu wünschen übrig, es wurde keine ordentliche Rednerliste geführt, geschweige denn ein Protokoll, und die vorherige Anfrage eines
BI-Mitglieds, eine Tonaufzeichnung vornehmen zu dürfen, wurde nicht ans Auditorium gerichtet. Der BI wären für ihre PPT-gestützte Präsentation nur zehn Minuten eingeräumt worden, denn andernfalls, so hieß es, würde die Aufmerksamkeit des Publikums, dass schließlich einen schweren Arbeitstag hinter sich habe, überbeansprucht, so dass die Bäume für Kreuzberg auf ihre Präsentation verzichteten (schon ein zusammenhängender Wortbeitrag hätte deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen — schließlich gibt es grundsätzliche, eher formale wie eine Fülle sachlich-inhaltlicher Gesichtspunkte ), doch zum allgemeinen Erstaunen durfte nach einer Einladung der Baustadträtin, wonach der wechselseitig Informiertheitsgrad angeglichen und die bereits jahrelange engagierte Arbeit an den verschiedenen Planungsstufen gewürdigt werden müsse, Frau Bergander von TOPOS fast eine halbe Stunde die immer unruhiger werdenden ZuhörerInnen u.a. mit gänzlich überflüssigen historischen Exkursen langweilen. Die BI aber konnte im Anschluss an einen kürzeren Beitrag Lingenaubers, der offenbar mit diesem Unverständnis nicht gerechnet hatte, im recht regellosen Debattenverlauf mit verteilten Rollen ihre Haupteinwände auch gegen das überarbeitete TOPOS-Konzept, das jetzt angeblich mit der Fällung von nur drei Pappeln auskommt, darlegen.
Zu unserer Freude wurden viele unserer Argumente von den Diskutanten aus dem Publikum vorweggenommen und als Quintessenz der überwiegenden Zahl der Wortmeldungen lässt sich festhalten, dass das Leitbild des „Grünen Kanals“ und einer Tieferlegung des Mittelwegs auf fast einhellige, massive Ablehnung stößt! Die KreuzbergerInnen wollen sich mit den angeblich minderwertigen Pappel nicht auch ihre offenbar für minderwertig erachtete jüngste Geschichte platt machen lassen, nur um auf Treppen der Weimarer Zeit in einen Parkkanal hinabzusteigen, der ihnen absurderweise auch noch dabei helfen soll, die Geschichte der Teilung zu überwinden, die Mauer zu vergessen und mit dem angrenzenden Bezirk Mitte zusammenzuwachsen. Was dort auf dem Gebiet des einstigen Todesstreifens als Luisenstädtischer Grünzug rekonstruiert wurde, findet schon bei den dortigen AnwohnerInnen nur mäßige Akzeptanz, bei den SO36ern aber gar keine.
Und auch dass womöglich die 200 bis 600.000 Euro aus dem Topf des Stadtbaulichen Denkmalschutzes für dieses Projekt verloren sind, kann die KreuzbergerInnen nicht schrecken. Sie verlangen vielmehr Auskunft darüber, warum dieser Betrag für solche Zwecke zur Verfügung stünde, aber nicht für Pflege, Erhaltung und Entwicklung eines bereits bestehenden lebendigen, von den AnwohnerInnen akzeptierten Grünzugs, der bereits jetzt als Gartendenkmal anerkannt ist.
Ina Stengel vom Bürgerverein Luisenstadt bekundete allerdings ihre Skepsis, ob denn, wenn jetzt zwar unter hoher Beteiligung ein neuer Anfang mit der Bürgerbeteiligung gemacht werde, sich dieses hohe Niveau dann auch in kontinuierlicher Arbeit verstetigen und über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten lasse. Und auch Bürgermeister Schulz schloss sich dem Vorschlag von Frau Beier an, eine Arbeitsgruppe all jener zu bilden, die sich ernsthaft einbringen wollen, um die nächste, für den 27. Mai geplante BürgerInnenversammlung vorzubereiten, auf dass es nicht wieder nur ein unproduktiver Schlagabtausch mit den nunmehr hinlänglich bekannten Argumenten werde.
Dass zu diesem Termin jedoch bereits der Abschnitt zwischen O-Platz bis Ritterstraße verhandelt werden kann, wie es der Einladungstext des Bezirksamt zur gestrigen Veranstaltung forsch ankündigte, ist völlig ausgeschlossen, nachdem über den zwischen Waldemarbrücke und O-Platz noch keine Entscheidung getroffen werden konnte. – Die Konstituierung der Arbeitsgruppe jedenfalls blieb abgesehen vom Sammeln einiger Mail-Adressen reichlich im Ungefähren.
Als Etappensieg darf aber zumindest gewertet werden, dass Baustadträtin Kalepky nicht nur einen Baustopp, sondern auch ein Fällmoratorium verkündete — wenigstens bis zum 30. September dieses Jahres…
