2 Grad plus − oder eher mehr

Wie reagiert Stadtentwicklung auf die Klimaveränderung?

Bericht von einer aufschlussreichen Veranstaltung

Auditorium mit VIPs

Auditorium mit VIPs

Das EnergieForum Berlin, ein Niedrigenergiebau am Stralauer Platz, Mitte der 1990er Jahre mit ungestümem Enthusiasmus als Internationales Solarzentrum Berlin und Leuchtturmprojekt für die große Energiewende zur „Solarhauptstadt“ geplant (in der Dekaden später gerade mal 1,87 Prozent des Energiebedarfs von Erneuerbaren gedeckt wird) −, das EnergieForum also erschien SenStadt der geeignete Ort, um am vergangenen Donnerstag (8.1.) im Rahmen des Stadtforums Berlin drei Stunden lang einer inzwischen wahrlich drängenden Frage nachzugehen:
Wie reagiert Stadtentwicklung auf die Klimaveränderung? Und diese Frage scheint nach dem Gipfel des Scheiterns in Flopenhagen zu Beginn der neuen Dekade auch eine immer größere Zahl von BürgerInnen umzutreiben, denn nach Verstreichen von ein, zwei akademischen Vierteln konnte sich das rund 300köpfige Auditorium in einen überfüllten Uni-Hörsaal versetzt fühlen.

Zur Begrüßung

Staatssekretärin Krautzberger

Staatssekretärin Maria Krautzberger

Staatssekretärin Maria Krautzberger, zuständig für Stadtplanung und Verkehr, stellte ungeachtet der aktuellen Winterkälte klar: „Der Klimawandel kommt nicht, er ist schon da!“ und verwies auf den 80prozentigen Anteil, den die Städte zu den Treibhausemissionen beitrügen, sodann aber auf schon Geleistetes, nämlich das gemäß der Deklaration der Bürgermeister [nein, nicht jener zur COP15 im Hinblick aufs prognostizierte Scheitern, sondern der Berliner Erklärung der Bürgermeister von 2006] bereits 2008 formulierte klimapolitische Arbeitsprogramm des Senats, eben die Berliner Klimastrategie, „Klima schützen, Umwelt stärken, neue Arbeit schaffen“, mit ihren vier Säulen

  1. Klimaschutz durch weitere CO2-Reduktion (und zwar 40 Prozent bezogen auf 1990, wobei Berlin im European Green City Index in der Luftqualität den achten Rang belegt)
  2. Schaffung neuer Arbeit auf grünen Märkten (einschließlich der Region Brandenburg)
  3. Fortbestehen als grüne Metropole mit 42 Prozent klimaentlastendem Grünanteil und
  4. frühzeitige Einstellung auf die Folgen des Klimawandels

Nach einer im Auftrag von SenStadt erstellten und genau vor einem Jahr veröffentlichten Studie des PIK ist für die Region Berlin-Brandenburg, die das UBA als „besonders stark verwundbar“ einstuft, bis 2050 ein Anstieg der Durchschnittstemperatur um 2,5 Grad zu gewärtigen − mit dramatischen Folgen wie sommerliche Hitze- und Dürreperioden und winterliche Starkregenereignisse.

Auditorium

Vollbesetzes Auditorium

Angesichts dieses Szenarios wurde unter Stadt-, Landschafts- und UmweltplanerInnen die Konzipierung eines Stadtentwicklungsplans (StEP Klima) ausgelobt, der die bisherigen Aktivitäten flankieren soll. − Besonders in hochverdichteten und damit unterversorgten City-Bezirken müssten fußläufig erreichbare Schattenzonen geschaffen sowie das klimaaktive Grünvolumen erhöht werden, um die Entstehung innerstädtischer Wärmeinseln zu verringern. Die Problematik der Nachverdichtung müsse neu durchdacht, Kaltluftentstehungsgebiete und Stadtgrün müssten erhalten bzw. neu geschaffen bzw. nachgepflanzt werden. Ein intelligentes Wassermanagement solle die Extreme von Knappheit und Überschuss ausbalancieren.

Vor allem komme es auf systematische Antworten seitens der Wissenschaft und Fachwelt an und nicht zuletzt auf den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Nach dieser Revue von eigentlich schon Bekanntem, aber beim Übergang zum Tagesgeschäft der ökonomischen Krisen, Sachzwänge und leeren Kassen alsbald wieder Verdrängten klang der fulminante Vortrag von PIK-Chef Prof. Hans-Joachim Schellnhuber wie ein Weckruf (und wohl nicht nur wir fragten uns unwillkürlich, wie so jemand unsere zaudernde, eigen- und leidenschaftslose Obermoderatorin aus dem Kanzlerinnenamt aushält, als deren Klimaberater er bekanntlich fungiert).

Stadt Land Fluss

Schellnhuber mit Nobelpreisträger-Appell

Schellnhuber mit Nobelpreisträger-Appell

Nach einer meteorologischen Erläuterung der für die aktuelle schneereiche Witterung verantwortlichen Genuazyklone, die sich durchaus mit jener vergleichen lasse, die zu anderer Jahreszeit 2002 das verheerende Elbhochwasser hervorrief, machte Schellnhuber noch einmal seinem Frust über das Scheitern von Kopenhagen Luft − von „globalem Klimakitsch“ hatte er gegenüber der Süddeutschen gesprochen − und zog, da eine verbindliche Vereinbarung entschiedenen Handelns gegen die Erderwärmung top down nicht erreicht werden konnte, den radikalen Schluss, dass vorderhand Hilfe nur bottom up zu erwarten sei, also von den Kommunen, den vielen regionalen und lokalen Initiativen, kurz: der Zivilgesellschaft kommen müsse.

Den Zweiflern an der anthropogen verursachten Klimaveränderung, den „pensionierten Gewerbelehrern oder skeptischen Hobbymeteorologen“, hielt Schellnhuber den im November ’09 von rund 60 Nobelpreisträgern unterzeichneten Appell an die Regierenden dieser Welt entgegen, ein verbindliches Abkommen zum Klimaschutz auszuhandeln. Wiewohl es dazu bekanntlich nicht gekommen sei, habe die Wissenschaft dennoch einen „tragischen Triumph“ gefeiert, da die zwei Grad Celsius, um die sich die Durchschnittstemperatur verglichen mit vorindustrieller Zeit nicht erhöhen dürfe, wenn denn die Auswirkungen noch beherrschbar bleiben sollen, immerhin anerkannt worden seien. − Und im Hinblick auf die geringe Sonnenaktivität hätte bspw. 2008 eins der kühlsten Jahre sein müssen, erwies sich jedoch umgekehrt als eins der acht, neun wärmsten seit der Temperaturaufzeichnung.

Schon 2 Grad plus nur fauler Kompromiss!

Schellnhuber mit CO2-Budget

Das globale CO2-Budget

Doch diese zwei Grad seien keine magische Grenze: hüben alles im grünen Bereich und nur drüben das Desaster, sondern als absolutes Maximum des noch Beherrschbaren selber bereits ein politischer Kompromiss, der sich angesichts der weit früher als prognostiziert eingetretenen negativen Auswirkungen, was etwa die Schmelze von Gletschern, Grönlandschelf und antarktischem Meereis oder die Zerstörung der Korallenriffe betreffe, als fauler Kompromiss erweise: Erschienen 2002 die Korallenriffe bei einer Begrenzung auf zwei Grad  noch knapp diesseits des kritischen Bereichs, so sind sie inzwischen bei derselben Zielmarke längst in den roten geraten, d.h. zu 70 Prozent gefährdet und zu erheblichen Teilen schon längst zerstört − mit kaum abzusehenden negativen Auswirkungen auf Meeresfauna und Küstenregionen.

Kipp-Elemente

Und Gletschereis, Korallenriffe oder die Regenwälder sind Bestandteile des Erdsystems, die als sog. tipping elements beschrieben werden müssen und die korrespondierenden Entwicklungen als tipping dynamics, und zwar deshalb, weil man sich gemeinhin die Klimaveränderung als graduell und ontogenetisch nur wenig bemerkbar vorstellt. Doch durchs Umstoßen dieser Kippelemente wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu plötzlichen, sprunghaften, unumkehrbaren Veränderungen im unendlich komplexen Gefüge des globalen Gesamtsystems kommen, mit hochgradig nicht-linearen Entwicklungen und unbeherrschbaren katastrophischen Folgen.

Abwarten bis zur Kriegswirtschaft

Schellnhuber mit Assessments

Die Assessments tendieren zu 3,5°+

Angesichts der 750 Gigatonnen CO2 [entspricht einer Konzentration von 450 ppm] die unsere Atmosphäre bis 2050 nur noch verkraften kann, wenn die 2°-Latte nicht gerissen werden soll (und selbst dafür gibt’s nur eine 67prozentige Wahrscheinlichkeit, spielen wir also „amerikanisches Roulette“ mit zwei Patronen im sechsschüssigen Revolver statt nur einer wie beim russischen), muss bei weiterem Zögern und Zuwarten ab einem Peak Year 2011 die globale Emission von Treibhaus-Gasen jährlich um 3,7 Prozent reduziert werden, während ihr gänzliches Runterfahren noch nach 2050 erfolgen kann; ab 2015 aber schon um 5,9 Prozent p.a. (d.h. „ein Kyoto pro Jahr“) sowie dem zusätzlichen Zwang, sie schon vor 2050 gänzlich auf Null zu reduzieren; beim Abwarten bis 2020 indessen um jährliche 9 Prozent, damit der Ausstoß von Treibhausgasen bereits 2040 total gestoppt ist. − Diese Option würde allerdings Rationierungsmaßregeln und Zwangsmaßnahmen zu ihrer Einhaltung erfordern wie in einer Kriegswirtschaft [und damit, ums offen zu benennen, eine Art Öko-Diktatur.]

Das Scheitern von Kopenhagen lastet Schellnhuber ausdrücklich der amerikanischen Seite an, die etwa für die finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Klimawandel-Adaption ab 2020 jährlich den Gegenwert von sechzig Stunden Irakkrieg anbot. − Fünf Personen, darunter keine aus der EU, handelten in einem Hinterzimmer ein unverbindliches Papier aus, wovon, wie bekannt, anschließend das Plenum lediglich Notiz nahm −, doch sei dieser Ausgang eindeutig besser als eine verbindliche Vereinbarung unzureichender Ziele, ein irrelevantes Ergebnis einem definitiv schlechten vorzuziehen. Das Positive des Scheiterns bestehe darin, dass der Prozess weiterhin ergebnisoffen sei. Nunmehr müssten die Akteure der Zivilgesellschaft die Sache selbst in die Hand nehmen!

3,5 Grad plus als best guess

Bis Monatsende gelte erstmal das „Klingelbeutelprinzip“: jede Nation könne nach Gutdünken ihre Selbstverpflichtung „reinwerfen“. Die Notwendigkeit einer 2°-Begrenzung wurde zwar anerkannt, doch  günstigste Einschätzung sei jetzt eine 3,5°-Erwärmung und daher Berlin zu entscheiden aufgerufen, was jetzt Deutschland davon noch „wegzuschnippeln“ bereit sei.

Große Tränke vertrocknet

Schellnhuber mit Großer Tränke

Szenario für die Großer Tränke

Bei einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur um 3,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau bzw. einer atmosphärischen CO2-Konzentration von 550 ppm sei bspw. ein Hitzesommer wie 2003 mit 35.000 Toten in Europa jedes zweite Jahr zu erwarten. Was den regionalen Wasserhaushalt betrifft, wird in „normalen“ Sommern der Pegel an der Großen Tränke, dem Zuflusspegel zum Berliner Gewässersystem, um achtzig Prozent niedriger liegen, in Hitzesommern aber auf Null sinken, d.h. die Spree wird trockenfallen und ein aufwendiges künstliches Wassermanagement mit Wasserüberleitungen von der Oder, Talsperren etc. notwendig, um Berlin mit Wasser zu versorgen − und den Spreewald mit Touristen [von der Fahrgastschifffahrt auf Stadtspree und LWK mal zu schweigen, da solch mittelfristige Überlegungen nun mal als ökonomisch nicht nachhaltig gelten].

Schellnhuber mit Großer Tränke 02

Herausforderungen ans Wassermanagement

Die Waldbrandgefahr wird einerseits natürlich steigen, aber ein erheblich verbessertes Management konnte die Zahl tatsächlicher Brandausbrüche in trockenen Sommern schon jetzt deutlich verringern. Und als positive Auswirkung bleibe festzuhalten, dass sich die Produktivität unserer Kiefernwälder um 10 bis 20 Prozent steigern werde, die Kiefer also Baum der Wahl bleiben sollte. [Allgemeine Heiterkeit.]

Die Stadtentwicklung, die gleichermaßen die Ziele Vermeidung und Adaption verfolgen müsse, bedürfe eines integrierten Energie- und Klima-Programms. Der Gebäudebereich berge das höchste CO2-Einsparpotential, selbstredend besonders beim Neubau bzw. der Bebauung seit 1970. Für den Altbaubestand jedoch würden erhebliche Sanierungsinvestitionen nötig, und Schellnhuber schlug vor, nach Einstellung des Flugverkehrs auf dem Gelände des Flughafens Tegel eine Bauausstellung für Null- bzw. Plus-Energie-Häuser zu veranstalten und sie gestalterisch an einem fraktalen Schnitt quer durch alle Berliner Bezirke auszurichten. Dem Plus-Energie-Haus, das im Unterschied zu Niedrigenergie- und sog. Passivhäusern eine positive Energiebilanz aufweist, also als kleines Kraftwerk überschüssige Energie ins Netz einspeist, gehöre die Zukunft, doch der Weg dorthin sei teuer. − Und damit eilte Schellnhuber von hinnen.

Unsere [hoffentlich nicht zu] ausführliche Darstellung seines beeindruckenden Vortrags geht natürlich leider auf Kosten der anschließenden Beiträge, die ebenfalls manch Bedenkenswerte enthielten, aber im folgenden nur kursorisch dargestellt werden können.  [Überhaupt soll’s ja in Kürze eine Dokumentation der Veranstaltung auf der SenStadt-Site geben.]

Schellnhuber mit Wasserüberleitung

Handlungsoption Wasserüberleitung von Oder zur Spree

Von Hopenhagen nach ResBONNsibility

Holger Robrecht, Bereichsleiter Nachhaltigkeitsmanagement von ICLEI(International Council of Local Environmental Initiatives)-Local Governments for Substainability, und trotz Daisy und der Deutschen Bahn rechtzeitig, aus Freiburg kommend, im EnergieForum eingetroffen, gab einen Überblick über die kommunalen Wege zur Klimaanpassung unterm vorgenannten launigen Motto.

Robrecht und Hi-Tech-Beispiel

Robrecht und Hi-Tech-Beispiel

Als Management-Experte bemängelte Robrecht an COP15 zunächst einmal die Vagheit des Leitziels sowie das Fehlen von Wegebeschreibung, Monitorings- und Evaluierungsinstrumenten − was freilich bei einem vagen Ziel nicht weiter verwundern kann. An die Stelle von Ernst Blochs Prinzip Hoffnung müsse nunmehr Hans Jonas’ Prinzip Verantwortung treten, und diese Verantwortung erfordere beispielsweise eine 80prozentige Senkung des Ressourcenverbrauchs bis 2100.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Städte und Gemeinden nicht einfach nur ihren Ressourcenverbrauch zu senken, ihre Emissionen zu mindern versuchen, sondern Nachhaltigkeit steuern, entsprechende integrative Strategien und Stadtentwicklungskonzepte erarbeiten, bei Anwendung des Versicherungsprinzips im Sinne kollektiver Risikoübernahme.

Zyklisches Nachhaltigkeitsmanagement

Zyklisches Nachhaltigkeitsmanagement

Zyklisches Nachhaltigkeitsmanagement

Planung ist lt. MGM-Gründer Goldwyn die Ersetzung des Zufalls durch den Irrtum. Diese Weisheit beherzigend, bedarf es korrekturfreundlicher Systeme und als zentrales Konzept stellte Robrecht das sog. Zyklische Nachhaltigkeitsmanagement vor, das ausgehend von a) der Bestandsaufnahme und ihrer Fortschreibung und b) der im Rahmen von Planungsworkshops gewonnenen Zieldefinition über c) den verbindlichen politischen Beschluss des erarbeiteten Handlungsprogramms zu d) seiner Umsetzung und deren Monitoring verläuft. Unter e) aber erfolgen Bilanzierung und Evaluierung sowie anhand periodisch zu erstellender Sachstandsberichte ggf. Richtungskorrekturen.

Lernende Städte

Die meisten Städte verfügen Robrecht zufolge zwar über Schutzprogramme, nicht aber über Anpassungsstrategien und ein Nachhaltigkeitsmanagement. Am weitesten seien, wenn es darum gehe, die Akteure in der Region auf der Grundlage von Beteiligungsprozessen mitzunehmen, − wen wundert’s − skandinavische Städte wie das finnische Tampere oder das südschwedische Växjö, die „grüne Modellstadt“, die den CO2-Ausstoß pro Kopf bereits vor Jahren um ein Viertel senken konnte und schon 2007 den „Sustainable Energy Europe Award“ gewann; aber auch Tatabánya in Ungarn sei als Referenzgemeinde zu nennen oder das schwäbische Ludwigsburg, das schon seit 2004 durch Nachhaltigkeitsmanagement in seinem Stadtentwicklungskonzept ökologische, ökonomische, soziale und partizipative Momente erfolgreich zusammenzuführen sowie die breite Öffentlichkeit zu mobilisieren vermochte und als Beispiel der „lernenden Gemeinde“ dienen kann.

Unterm Stichwort Vernetzung verwies Robrecht auf das Urban Climate Change Research Network der Columbia Unitversity (UCCRN),ein Konsortium von Einzelpersonen und Institutionen, das sich aus der Perspektive fortschreitender Urbanisierung der Analyse von Möglichkeiten zur Minderung des Klimawandels, Anpassungsstrategien und Energiefragen widmet sowie wegweisender fachwissenschaftlicher, ökonomischer und planungsbezogener Forschung. Das Netzwerk will die Kooperation innerhalb der Forschung, aber auch zwischen kommunalen Entscheidungsträgern und Stakeholdern zu allen Aspekten von Klimawandel und urbaner Entwicklung befördern und technische Unterstützung leisten.

Die schwierigste Hürde

Mit einer nur allzu wahren Einsicht beschloss Holger Robrecht seinen Beitrag, indem er Wolfgang Socher vom Umweltamt Dresden zitierte: „Ein Haupthindernis für erfolgreiche Anpassungsstrategien und –maßnahmen ist Besitzstandswahrung. Wir können uns leicht auf langfristige Ziele verständigen, aber nicht auf die Umsetzung von Maßnahmen, soweit sie uns, unsere Generation und unseren Besitz selbst betreffen. Insofern ist 2015 viel weiter entfernt als 2050.“

Holger Robrecht und die schwerste Hürde

Holger Robrecht und die schwerste Hürde

StEP Klima Berlin

Carl Herwarth von Bittenfeld vom Berliner Planungsbüro Herwarth + Holz stellte erste Arbeitsergebnisse bei der Umsetzung des Stadtentwicklungsplans (StEP) Klima vor.

Berlin wandert, so die Ausgangsthese, bzgl. der geographischen Breite auf die Höhe von Rom oder Barcelona, was neben gravierenden negativen Begleiterscheinungen vielleicht − allerdings nur kurzfristig − auch Chancen bietet. Stichwort: Tourismusindustrie. Die Entwicklung aber müsse, durchaus auch durch Neuorganisation, von der kompakten hin zur grünkompatiblen Stadt verlaufen.

Auf Grund der vorgefundenen baulichen Gegebenheiten mit Blockrandbebauung und dem gebietsweisen Mangel an unversiegelten Freiflächen gebe es insbesondere im innerstädtischen Bereich eine Vielzahl belasteter Räume, welchem Umstand abzuhelfen die kleinteilige Eigentumsstruktur nicht einfacher mache. Hier könne es nur darum gehen, die kleinräumigen Entlastungspotentiale etwa durch Fassaden-, Hinterhof- und Dachbegrünung, den Erhalt von Baulücken auch durch Rücknahme von Baurechten etc. zu nutzen. Zugleich blieben diese Entlastungsräume sehr verwundbar.

Relevant für eine klimaoptimierte Stadtentwicklung seien nicht zuletzt die sozialräumlichen Strukturen: Hier müsse der klimatologischen Benachteiligung sozial belasteter Bereiche begegnet werden. Eine Nachverdichtung habe jeweils höchsten stadtklimatologischen Anforderungen zu genügen!4

[Update, 15.01.10: Inzwischen hat uns Carl Herwarth von Bittenfeld dankenswerterweise seinen ausformulierten Vortrag „Klima Berlin – erste Arbeitsergebnisse“ zur Verfügung gestellt, der hier, schon weil wir nur allzu knapp darauf eingehen konnten, als PDF (52 KB) runtergeladen werden kann.]

Podiumsunterhaltung

Podiumsplauderei

Podiumsplauderei

Im Anschluss an zu Bittenfeld, der von rbb-Moderator Henneberg quasi mit der Stoppuhr in der Hand nur max. 11 Minuten für seinen Beitrag bewilligt bekam und sich sichtlich stressen ließ, kam es zu einer kurzen Podiumsdiskussion, oder besser gesagt, -unterhaltung zwischen

  • Prof. Elke Pahl-Weber − Leiterin des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung
  • Claudia Gotz − Executive Director, Urban Land Institute Germany
  • Prof. Dr. Jürgen Baumüller − Stadtklimatologiedirektor a.D., Stuttgart sowie
  • Prof. Dr. Stefan Heiland − Fachgebiet Landschaftsplanung und -entwicklung an der TU Berlin

Wir schenken uns eine nähere Vorstellung der GesprächsteilnehmerInnen, nicht zuletzt weil sie trotz oder gerade wegen der mitunter bewusst provozierenden Anmoderation Hellmuth Hennebergs sich eher ein wenig mit dem Moderator  kabbelten, untereinander hingegen vorwiegend friedlich-einmütig parlierten bzw. monologisierten als kontrovers zu debattieren. − Erst in Reaktion auf die vier, allenfalls fünf Wortmeldungen aus dem Publikum, da nur lächerlich wenig Zeit zur Verfügung gestellt wurde, kam es auf dem Podium zu dosierten Divergenzen.

Prof. Baumüller legte Wert auf die Feststellung, dass in der Bauleitplanung Stuttgarts, seiner früheren Wirkungsstätte als Direktor für Stadtklimatologie, klimatische Aspekte schon seit Jahrzehnten berücksichtigt worden seien, denn im Vergleich zum Umland sei angesichts einer Differenz von bis zu zehn Grad infolge Motorisierung und Versiegelung innerstädtisch der Klimawandel ja längst eingetreten. Fünfzig Watt pro Quadratmeter gingen bspw. in Berlin als künstliche Wärmeenergie in die Atmosphäre. − Stadtentwicklungskonzepte seien zunächst einmal rechtlich überhaupt nicht verbindlich, sondern müssten Eingang in die Flächennutzungspläne finden, um die Umsetzung festzuschreiben. − Da die Sonneneinstrahlung aber erst ab 2030 gravierend zunähme, könnten wir uns mit der Entwicklung von Adaptionskonzepten durchaus noch Zeit lassen. Baumüller machte angesichts befremdeter Reaktionen im Publikum später aber noch einmal deutlich, dass es keine Zeit mehr für effektive Klimaschutzmaßnahmen gebe.

Frau Prof. Pahl-Weber erkannte in der siedlungsstrukturellen Typisierung den richtigen Ansatz, riet aber, um wirksam das Klima zu schützen, dringend zu Partnerschaften mit Städten aus Entwicklungsländern, um sie von unseren Fehlern abzuhalten, da unser eigener Beitrag hierzulande doch viel zu geringe Wirkung entfalten könne. − Auf Förderprogramme für Kommunen angesprochen, stellte Frau Pahl-Weber klar, dass sie eine Forschungsabteilung des Bundesbauamts im BMVBS leite, die keine einzelnen Kommunen fördern könne, sondern nach einem querschnittsorientierten Ansatz arbeite, fokussiert auf die private Immobilienwirtschaft −, doch in der Förderung von Baugenossenschaften, wie sie sich in Berlin vermehrt gründeten, sehe sie einen richtigen Weg.

Prof. Heiland hinterfragte den Aufruf an die zivilgesellschaftlichen Akteure, nach dem Scheitern von Kopenhagen nun die Sache eigeninitiativ anzugehen: Hier gehe es nicht nur um 190 Repräsentanten souveräner Staaten, sondern um Millionen Einzelner, von denen doch jeder warte, dass der andere anfange, weil es keinen Anreiz gebe, selber aktiv zu werden. Zudem träfen mit der Zivilgesellschaft und der Verwaltung zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander, und er könne keine Lösungen aus dem Hut zaubern, wie hier ein fruchtbarer Dialog anzustoßen sei. [Unser Dialogversuch mit dem Herrn Professor ist, wie berichtet, ja ebenfalls gescheitert.] − Frappierend war auch Heilands Identifizierung eines Zielkonflikts zwischen Klimaschutz und Anpassung an den Wandel: So könnte Baumbestand den Effekt von Kaltluftentstehungsgebieten vereiteln, Aufwuchs müsste ggf. verhindert werden, wenn er Luftschleusen blockiere, und in Wohnstraßen seien großkronige Straßenbäume schon deshalb ungeeignet, weil sich darunter die Autoabgase stauten, wodurch die Gesundheit der Anwohner gefährdet würde. − Da fragte Prof. Baumüller denn doch verwundert, weshalb es in dreißig Jahren noch Autoabgase geben solle.

Wie gesagt, für Fragen und Statements aus dem zahlreich erschienenen und fast vollzählig bis zum Schluss ausharrenden Publikum blieb kaum mehr Zeit; überziehen darf bekanntlich nur Gottschalk im Fernsehen.

Fragen aus der Zivilgesellschaft

Gefragt wurde von einem BaL-Vertreter, weshalb sich der Senat bei seinem offenbar hohen Problembewusstsein, seinen ambitionierten Strategie-Plänen und Absichtserklärungen standhaft weigere, anlässlich von dessen Sanierung die Förderung und Entwicklung des LWK und seiner Grünzüge in seine klimaoptimierte, nachhaltigkeitsorientierte Stadtentwicklungsplanung aufzunehmen, indem er die Federführung für eine integrierte Gesamtplanung mit Einbeziehung stadtökologischer Aspekte übernehme, auch wenn Tausende von BürgerInnen dies explizit fordern; sondern statt dessen lieber für eine 08/15-Gestaltung des Gleisdreieck-Parks mit schwerem Gerät ökologisch wertvollste Ruderalvegetation einer ehemals einzigartigen innerstädtischen Brachlandschaft schleife und mit einem versiegelten, kehrmaschienengerechten Wegenetz überziehen oder kürzlich die letzten zusammenhängenden Gehölze im östlichen Tiergarten durch ein ebensolches Wegenetz zerstückeln lasse.

Ein Vertreter von MediaSpree versenken fragte sinngemäß, warum sich der Senat beharrlich der Umsetzung des erfolgreichen Bürgerentscheids zum „Spreeufer für alle!“ widersetze.

Und ein Vertreter des Graefekiez’ wollte wissen, weshalb die Anpassungsstrategie an den Klimawandel die bestehenden Strukturen des Immobilieneigentums fördern müsse, welche doch Segregation und Gentrifizierung Vorschub leisten und alteingesessene, aber einkommensschwache Bevölkerungsteile zunehmend aus dem Kiez verdrängen würden.

Die Stadtentwicklungssenatorin schlussfolgert

Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer

Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer

Senatorin Ingeborg Junge-Reyer, die laut Programm-Ankündigung Schlussfolgerungen aus den gehörten Beiträgen der Wissenschaftler ziehen wollte, berichtete zunächst von ihrem Erschrecken, als sie gehört habe, nach dem Gipfel-Scheitern läge nun alle Verantwortung fürs Handeln gegen den Klimawandel bei den Kommunen,  wiewohl sie durchaus die Verpflichtung der Verwaltung zu konkretem Handeln anerkenne. Doch „wir haben schon ein ungeheures Grünvolumen in unserer Stadt, das wir bewahren wollen.“ Für die auf dem Tempelhofer Feld [von Senatsbaudirektorin Lüscher ungeachtet des „mehrstufigen Beteiligungsverfahrens“ ganz ohne BürgerInnen-Votum] geplante IBA seien die Kernthemen: a) die soziale Integration, b) die Investorenfreundlichkeit und c) die ressourceneffiziente, klimagerechte Stadt.

Dann aber nahm die Senatorin, indem sie sich zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft bekannte und unter diesem Aspekt die Podiumsdiskussion gleichfalls allzu gemütlich fand, die Wortmeldungen der verschiedenen Initiativen zum willkommenen Anlass, statt Schlussfolgerungen zu ziehen, sich auf die Ebene von Kleinklein, Hickhack und Gegrantel zu begeben [zu den Details siehe unsern Videoclip ganz unten!]: Die Verantwortung für den 11 km weit fünf innerstädtische Bezirke durchfließenden LWK verortete sie mal wieder beim Vorhabenträger WSA, also dem Bund, der dafür zu sorgen habe, „dass die Bäume nicht ins Wasser fallen“ und die Grünzüge mit ihrer ökologischen und sozialen Funktion erhalten blieben. Dazu brauche es keiner weiteren Planungen, sondern konkreten Handelns. [Siehe hier auch die Antwort Staatssekretärin Krautzbergers auf die Kleinen Anfrage zur stadtökologischen Sanierung des LWK von Marion Plattas (Die Linke) vom 21.12.09]

Im Hinblick auf den Graefekiez wunderte sich die Senatorin, dass es früher darum gegangen sei, die Abwanderung von Reichen aus der Innenstadt ins Umland aufzuhalten, es nun aber, da Besserverdienende wieder zurückkehrten, auch wieder nicht recht sei. „Dabei brauchen wir sie im Kiez, damit es dort Läden zum Einkaufen gibt.“ − Wir ersparen uns mal, diese wohl ausreichend für sich selbst sprechende Einlassung zu kommentieren und hoffen auf Verständnis…

Und dann erfuhr die Zivilgesellschaft, dass sich der Senat die Parole „Spreeufer für alle!“ gar als „Leitbild“ zueigen gemacht habe −, doch wenn dann so eine Strandbar einen Teil des Ufers abzäune, um Eintritt nehmen zu können, und dies von der Initiative auch noch unterstützt werde, „weil der Besitzer mal zu einem Bier einlädt“, dann findet das Frau Junge-Reyer selbst auf die Gefahr hin, platt zu werden, nicht in Ordnung. − Während nun aber das Angesprochene ein Problem von gestern und längst geklärt ist, der Bezirk F’hain-Kreuzberg inzwischen aber ohne BürgerInnen-Beteiligung ausgearbeitete Bebauungspläne auf den Tisch legt, welche u.a. die Kernforderung eines 50 Meter breiten, öffentlich zugänglichen Uferstreifens verletzen, mit dem Erfolg, dass die BI „MediaSpree Versenken“ den Sonderausschuss Spreeufer längst verlassen hat, erleichtert natürlich der Senatorin die Unterstützung jener Parole. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie dagegen ein wichtiges Instrument direkter demokratischer Beteiligung, nämlich den Bürgerentscheid, noch mit der Bemerkung abgewertet und beschädigt, es sei in Kreuzberg nun mal nicht schwer, 30.000 Unterschriften gegen irgendwas zu sammeln.

Und aus aktuellem Anlass beschloss Frau Junge-Reyer ihre Schlussfolgerungen mit der Absichtserklärung, das Monopol der S-Bahn zu brechen. Diese soll also nicht etwa rekommunalisiert werden, sondern offenbar auf demselben Schienennetz die harte Konkurrenz weiterer privater Anbieter erfahren.

So reichte denn der Spannungsbogen dieser gut dreistündigen Veranstaltung von den drängendsten Fragen, denen sich die Menschheit zu Beginn des Agenda-Jahres und einer wohl entscheidenden Dekade des 21. Jahrhunderts gegenüber sieht, bis hinunter in die tiefste Berliner Provinz.


4 [Herwarth + Holz wurden übrigens von SenStadt auch mit der „Städtbaulichen Rahmenplanung Luisenstadt“ betraut und haben anlässlich eines 1. Bürgerabends am 20.10. durchaus diskussionswürdige Überlegen und von einem gewissen Problembewusstsein kündende Vorentwürfe präsentiert. − Deshalb sei an dieser Stelle auf den 2. Bürgerabend verwiesen [hier der offizielle Einladungsflyer (2 MB mit langer Ladezeit)], der am 13. Januar, 18 bis 20 Uhr, erneut in der [diesmal hoffentlich beheizten!] St. Michael-Kirche, Waldemarstraße 8-10 veranstaltet wird und Rechenschaft darüber geben soll, wie die Vielzahl der artikulierten Interessen und Bedürfnisse, Anforderungen, Anregungen und Vorschläge der BürgerInnen Eingang in die Vorplanungen gefunden haben, und dies vor dem Hintergrund, dass am 1.12.09 eine geschlossene Veranstaltung nur mit „Gebietsexperten − Institutionen, Eigentümern, Verwaltungen“ zur Rahmenplanung stattgefunden hat.]

4 Kommentare

  1. kinderkaffee said,

    17. Januar, 2010 um 18:45

    Daisy, Bob und die klirrende Erdwarmerung

    Daisy, Bob und die klirrende Erdwarmerung

    Stellt euch vor: alle warten auf die „Erderwärmung“ und es kommt einfach keine! Das Wetter bleibt gleich und die Erderwärmung scheint bis auf Weiteres verschoben! Uns wurden aber subtropische Zustände versprochen! Im Tank-Top durch den sonnigen Januar und die Meeresbrise am palmenumstandenen Strand im heißen Süddeutschland, umspült vom nahezu brodelnden, ehemaligen Arktis- und Gletschereises. Jetzt im Winter gerade, wäre das natürlich besonders schön! Aber nichts da! Weit und breit nur normales Wetter, wie gewohnt. Leise rieselt der Schnee! Und es will einfach partout nicht wärmer werden! Wir wurden betrogen! Haben alle unsere Alaska-Jacken verbrannt und durch Badehosen und Bikinis ausgetauscht.

    Gruß Kaffee

  2. Paula Panter said,

    18. Januar, 2010 um 22:43

    Hallo kinderkaffee,
    leider ist Dein Szenario nicht nur angesichts der schmelzenden Gletscher in der Arktis mehr als unwahrscheinlich. Aber ich habe den Eindruck, den „freidemzen“ geht es eher um Satire. Ist aber leider gar nicht lustig Eure website.

  3. lokalist said,

    20. Januar, 2010 um 18:47

    Ein Link zu dem Landwehrkanalblock und Youtube auch unter
    http://ras66.forumprofi.de/thema-anzeigen-flyer-der-miet-ag-t29.html
    flyer der Miet AG.

  4. 21. Januar, 2010 um 1:25

    […] Landwehrkanal-Blog berichtet ausführlich von der gesamten Veranstaltung und auch von einigen Fragen, zu denen Senatorin […]


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