BürgerInneninitiative Bäume für Kreuzberg

Zur Zukunft des ehem. Luisenstädtischen Kanals — Leitbild-Entwurf der BI Bäume für Kreuzberg

Vorbemerkung

Angesichts der Vorgeschichte, als eine ohne ausreichende BürgerInnenbeteiligung und überhaupt ohne Leitbild-Diskussion zustande gekommene, denkmallastige Planung dirigistisch durchgesetzt werden sollte und erst im allerletzten Moment durch beherzten BürgerInneneinsatz gestoppt werden konnte, verstehen wir unsere derzeitige Aufgabe zunächst nur in der groben Skizzierung der davon diametral abweichenden Richtung, in die sich nach unserer Auffassung die Sanierung des Kreuzberger Abschnitts des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals (ELK) mit Blick auf Erholungsbedürfnisse, Lebensqualität und Stadtnaturschutz bewegen sollte.

Unserer Meinung nach kann ein Leitbild ohnehin nur dann eine Maßnahme leiten, wenn es von Details absieht und eine allgemeine Richtung vorgibt, für den gesamten Prozess verbindlich und nicht umkehrbar ist. Dazu ist es notwendig, die verschiedenen konkurrierenden Leitbilder einfach, unmissverständlich und grob zu halten, sie öffentlich zur Diskussion zu stellen und in einem demokratischen Prozess zu einer klaren Entscheidung darüber zu gelangen, an welchem allgemeinen Leitbild sich die künftigen Einzelplanungen orientieren sollen.

Im Folgenden geht es um unsere Essentials einer solchen allgemeinen Orientierung, bevor dann abschnittweise inhaltlich analysiert werden muss, wie sie jeweils konkret angewendet und ausgestaltet werden kann.

Hauptaspekte

  1. Naturschutz und Nutzungsqualität statt Denkmal-Rekonstruktion!
    Bei der Sanierung des ELK haben wir uns zunächst und vor allem am Vorhandenen, am Bestand zu orientieren, der auf einer Planung der 1980er Jahre beruht und unter reger Anteilnahme der Anwohnerschaft gestaltet wurde. Ohne dass ihr Charakter verändert wird, gilt es, diese Grünanlage behutsam weiterzuentwickeln und aufzuwerten, und zwar im Hinblick auf Verbesserung

    • der Naturaustattung (Entwicklung und Stärkung des Biotop-Potentials als Habitat sowie Wander- und Ausbreitungskorridor für eine möglichst hohe Artenvielfalt durch standort- und florengerechte Nachpflanzung und Sicherstellung fachkundiger Pflege)
    • des Spiel- und Naturerlebnisraums (nicht zuletzt im Hinblick auf Umweltbildung)
    • der Erholungs- und Aufenthaltsqualität (z. B. durch Bänke, Liegewiesen, Schattenplätze, funktionierende Brunnen/Wasserläufe)
    • der (barrierefreien) Spazier- und Flanierqualität vom Engelbecken bis zum Urbanhafen
    • der Wahrnehmbarkeit dieses historischen Beispiels Gestalt gewordener BürgerInnenbeteiligung im Kreuzberg der 1980er Jahre
    • einer punktuellen Wahrnehmbarkeit materieller Relikte tiefer liegender Zeitschichten (Lenné, Barth/Kloss, III. Reich, Teilung und ihre Überwindung…)
  2. Pflegen statt Tieferlegen!
    Einer gartendenkmalpflegerischen Rekonstruktion welcher Zeitschicht auch immer darf die bereits vorhandene Naturausstattung und ihre Entwicklungspotentiale, die bestehende Gestaltung (etwa die geschwungene Wegeführung) und die gegebene Nutzungsqualität keinesfalls geopfert werden! — Deshalb und auch aus Kostengründen (s.u.) lehnen wir eine Tieferlegung des Grünzugs grundsätzlich ab!
  3. Wenn schon ein Denkmal auf Kreuzberger Seite, dann die unter BürgerInnenbeteiligung entstandene Gestaltung der 1980er Jahre!
    Würdig für Denkmalschutz und -pflege im Kreuzberger Abschnitt ist vor allem die aus den 1980er Jahren überkommene Gestaltung des Grünzugs, insofern sie unter beispielhafter BürgerInnenbeteiligung umgesetzt wurde: Sie ist unser lebendiges Gartendenkmal!
  4. Keine Vergeudung öffentlicher Mittel für eine unzeitgemäße, unnötige und nutzerInnenunfreundliche Baumaßnahme!
    Ein grundlegendes Kriterium unseres Leitbilds ist der Kosten/Nutzen-Aspekt. Die BürgerInnen dürfen erwarten, dass ihre Steuergelder (und darum handelt es sich) so eingesetzt werden, dass auf globale Schicksalsfragen wie Erderwärmung und Artensterben lokal angemessen reagiert wird. Daher ist es weder effizient noch nachhaltig, über eine vorhandene Grünanlage, die obendrein von Seiten der verantwortlichen Verwaltung systematisch in Pflege und Unterhaltung vernachlässigt wurde, in einem Prozess kreativer Zerstörung mehrere Millionen Euro auszuschütten, nur um in einigen Jahren wieder eine Grünanlage vorzufinden, deren Gestalt sich gewandelt hat.
    Diese Form öffentlich zur Schau gestellter Verschwendung wäre angesichts der Haushaltslage einerseits, der vielen drängenden Probleme andererseits ein Skandal!Dem Kosten/Nutzen-Kriterium gemäß wird hingegen eine behutsame Weiterentwicklung in der oben beschriebenen Weise nur einen Bruchteil an Kosten verursachen, verglichen mit den bisherigen, inzwischen offiziell zurückgezogenen Planungskonzepten und den für die dort beschriebenen Maßnahmen bereits bewilligten Geldern.
    Die dadurch freigewordenen finanziellen Mittel aus dem Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ sollten besser im Sinne des Klimaschutzes für die energieeffiziente Sanierung denkmalgeschützter öffentlicher Gebäude eingesetzt werden. — Dies ist im Rahmen des Programms problemlos möglich, zeitgemäß und auch in höchstem Grade Image verbessernd.
  5. Permanente BürgerInnenbeteiligung!
    Nicht zuletzt gehören zu unserer Leitbild-Vorstellung die Eröffnung und Gewährleistung von Beteiligungschancen für alle Betroffenen an seiner Ausgestaltung.

Nachbemerkung

Unser Leitbild soll den BürgerInnen ein verständliches, überschaubares Bild vor Augen führen, anhand dessen sie innerhalb relativ kurzer Zeit eine Entscheidung darüber treffen können, in welche Richtung die künftige Planung des ELK gehen soll. Entsprechendes hatten wir eigentlich auch von den anderen LeitbildnerInnen erwartet, denn es dürfte allen klar sein, dass man die AnwohnerInnen mit den vorgelegten Leitbildern in einer zwei- bis dreistündigen Bürgerversammlung nicht einmal annähernd informieren, geschweige denn zu einer Entscheidung hierüber veranlassen kann.

Eine Zersplitterung des Leitbilds in ein Sammelsurium unverbindlicher und teilweise widersprüchlicher Detailvorschläge kann nur allseitige Verwirrung stiften und würdigt die Leitbilddiskussion, die ja nicht umsonst einer Planung vorausgehen sollte, anstatt in immer neue „Einstiege in Leitbilddebatten“ zerstückelt zu werden, zu einer bloßen BürgerInnen-Informationsveranstaltung in einem beliebigen Planungsstadium herab!

Ein an der 80er-Jahre-Planung Beteiligter gab uns folgende Fragen eines aufgeklärten Stadtplaners mit auf den Weg:

  • Wenn es eine Veränderung ist — ist es auch eine Verbesserung?
  • Wenn es eine Verbesserung ist — dann für wen?
  • Wer wird durch die Veränderung verdrängt und wo gehen die hin?
  • Wie ist es für die da?
  • Haben sie es da gut oder verschwinden sie einfach?
  • Oder verdrängen sie dort jemand anderes?
  • Kurzum: Ist es eine Verbesserung für alle?

Alexander Kretzschmer