Straßenbäume roden an Mittes Holzmarktstr.?

Fehlerhaftes Gutachten, keine Info, keine Beteiligung

Fällstopp gefordert!

91 Straßenbäume, sechzig Pappeln und 31 Ahornbäume, sollen dem Umbau der Holzmarktstraße in Mitte weichen. Weder gab es dazu die in Aussicht gestellte Bürgerinformationsveranstaltung noch irgendeine Form von Beteiligung, nicht mal der anerkannten Naturschutzverbände, sondern am 13. Januar lediglich eine lapidare Pressemitteilung [siehe dazu auch hier].

Holzmarktstraße Google Streetview

Holzmarktstraße ©Google Street View

Das Gutachten einer vom Senat bestellten landwirtschaftlichen Sachverständigen vom 1. Oktober 2013, das die Bäume in Vitalitäts- und Schadensstufen einteilt und die Auswirkungen des Umbaus bewerten soll, kommt zu dem Schluss, dass die genannte Zahl an Bäumen wegen mangelnder Verkehrssicherheit und zu erwartender Schädigung der Baumwurzeln auf Grund der Baumaßnahmen gefällt werden müssen. Der Senat erzählt, wie bei Pappeln üblich, noch von Gehwegschäden, als würden die im schlecht durchwurzelbaren Boden im urbanen Raum nicht ebenso auch von Linden, Platanen und Kastanien verursacht. Und gerade an der Holzmarktstraße halten sie sich doch sehr in Grenzen! Mit der Massenfällung sollte ursprünglich schon am Montag begonnen werden.

BaL-beauftragter Sachverständiger für neues Gutachten

Eine vom BaL e.V. beauftragte Stellungnahme des Baumsachverständigen, Dr. Michael Barsig, zum Gutachten von Dr. Frauke-Elisabeth Schmidt erkennt jedoch erhebliche fachliche Mängel und fordert, neben der Durchführung einer Palette von Erkundungs- und Erhaltungsmaßnahmen, einen sofortigen Fällstopp, um eine neue differenziertere Begutachtung vorzunehem:

Stellungnahme im Wortlaut

„Das Gutachten der Sachverständigen Dr. Frauke-Elisabeth Schmidt vom 01.10.2013 zur ‚Überprüfung der Vitalität und Schadstufenverteilung, sowie Einschätzung der Auswirkungen der geplanten Ausbaumaßnahmen der Holzmarktstraße in Berlin Mitte auf den begleitenden Baumbestand an der nördlichen Straßenseite (91 Bäume) zuzüglich der Ermittlung des Kompensationsbedarfs‘ im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung enthält folgenden fachlich relevanten Fehler:

Es wird nicht explizit dargelegt, welcher Schadstufen-Einteilung (nach Roloff oder GALK) sie folgt, und die fachlich anerkannte Vitalitätseinstufung nach Roloff benutzt keine prozentuale Schadstufen-Klassifizierung wie die der GALK, die fachlich nicht anerkannt ist. Eine Amplitude eines Schädigungsgrades von 25-60% ist sowohl nach wissenschaftlichen Kriterien wie nach Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes nicht haltbar. Dadurch bedingt sind auch erhebliche Minderwerte bei der Ausgleichsberechnung abzuleiten, die fachlich zu überprüfen wären, insbesondere anhand der beigefügten Luftbildaufnahme vom 06.07.2016. Geschädigte Bäume sind auch im Luftbild gut zu erkennen, was bei den Bäumen an der nördlichen Holzmarkstraße zwischen Alexander- und Lichtenberger Straße nicht zu erkennen ist.

Auch im beigefügten Google-Street-View-Bild vom Juli 2008 gibt es keine Hinweise auf eine nachhaltige Vitalitätsbeeinträchtigung der Pappeln.

Dementsprechend werden die Bäume an der Holzmarktstraße viel zu pauschal in einen schlechten Kronenzustand eingruppiert. Der angegebene Ortstermin am 28.08.2013 (zum Ende der Vegetationsperiode) ist nicht hinreichend, um die Kronenvitalität abzuschätzen: in trockeneren Jahren sehen die städtischen Baumkronen Ende August/Anfang September häufiger schlechter aus als mitten in der Vegetationsperiode.

Die Beurteilung der Standsicherheit der Pappeln nur aus visueller Inaugenscheinnahme ist fachlich zu ungenau. Auf städtischen Standorten wachsen sehr viele Pappeln mit oberflächennahen Wurzeln, die durch Trittbelastung oberflächliche Schädigungen aufweisen. Dennoch sind diese Pappeln standsicher, weil sie auch über Haltewurzeln in tieferen Bodenschichten verfügen. Diese wurden beim genannten Gutachten jedoch nicht durch Aufgrabungen begutachtet. Es gibt auch keinen Beweis im Gutachten, dass die Pappeln am untersuchten Standort nachweisliche Standsicherheitsprobleme aufwiesen. Die Beurteilung der Lebensdauer der Pappeln als „kurzlebig“ ist fachlich unzutreffend. Das natürliche Lebensalter beträgt 200 Jahre und damit mehr als z.B. von Buchen. Eingeschränkt wird die Lebenserwartung durch schlechte Standortbedingungen. Dazu gibt es aber keine substantielle Bodenanalyse.

Ahornbäume haben als so genannte Herzwurzler fast immer ein sicheres nach unten in den Bodenraum ausgeweitetes Wurzelsystem mit Senkerwurzeln – auch hier ist eine oberflächliche Betrachtung nicht substanziell. Die Einstufung des Spitz-Ahorns als Baum 2. Ordnung in der Höhenklassifizierung ist falsch, diese Baumart gehört zu den Bäumen 1. Ordnung.

Die Auswirkungen der Baumaßnahme auf den Wurzelraum der betroffenen Bäume ist nur pauschal abgeschätzt worden. Fachlich sauber wäre eine Schlitzgrabung gewesen, um eine genaue Inaugenscheinnahme des bauseitigen Wurzelwerks zu erfassen und eine fachlich fundierte Diagnose zu ermöglichen. Außerdem muss bei einer Gesamtbetrachtung zur Standsicherheit der gesamte Wurzelraum einbezogen werden, d.h., wie viel Wurzelmasse geht baubedingt verloren. Diese Berechnung ist im Gutachten jedoch nur zweidimensional erfolgt, es ist aber der gesamte in der Tiefe durchwurzelbare Bodenraum zu berücksichtigen: dazu gibt es keine Tatsachenerhebung. Eine Wurzelverwachsung von Ahorn- u. Pappelwurzeln wird nur spekulativ behauptet, ohne substanziellen Beweis.

Eine Abgrabung bis 25cm Bodentiefe für einen Fahrrad- und Gehweg ist bei weitem nicht so kritisch zu betrachten wie die Grabung eines tieferen Fundaments. Nicht einbezogen im Gutachten wurde die Möglichkeit, durch Bodenverbesserung, Belüftung, Mykorrhiza-Zugabe die Durchwurzelbarkeit des verringerten Standortvolumens zu kompensieren.

Deshalb wäre ein neues, differenziertes Gutachten zu beauftragen, das die tatsächlichen Wurzelverläufe konkret unter den Vorgaben des Bauvorhabens untersucht und die aktuelle Kronenvitalität und Prognose neu erstellt.

Bis dahin sollten alle irreversiblen Baumfällmaßnahmen gestoppt werden.“ − So weit die Stellungnahme Dr. Barsigs.

Holzmarktstraße ©Google Satellite

Holzmarktstraße Google Satellite

BaL fordert neues Gutachten, Fällstop und Beteiligung!

Wir fordern die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dringend auf, keine Bäume zu fällen, die vorgeschlagenen Maßnahmen zu erwägen, vor allem aber die avisierte Bürgerinformationsveranstaltung endlich durchzuführen und bis dahin keine unumkehrbaren Fakten schaffen zu lassen. Zur Notwendigkeit von Straßenbäumen im hoch verdichteten Stadtgebiet und ihre ökologischen Dienstleistungen sowohl für die öffentliche Gesundheit und Lebensqualität wie auch als Nahrungs- und Lebensstätte zahlreicher Tierarten, was bei Fällung und Neupflanzung erst in einer Generation halbwegs kompensiert würde, haben wir uns schon oft geäußert, und sie ist dem öffentliche Bewusstsein auch mehr und mehr präsent. Eine ökologisch nachhaltige, partizipativen Gestaltung der Entwicklung der wachsenden Stadt wird so jedenfalls nicht gewährleistet.

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5 Kommentare

  1. Jürgen Sadlowski said,

    23. Januar, 2017 um 20:57

    Hallo mal allen hier
    Nun bin ich nicht gerade ein Baumsachverständiger, denke aber wenn ein Baum nach den letzten Wind nicht umgekippt ist, ist er auch keine Gefahr und bräuchte also auch nicht gefällt werden.
    Nur mal eine Randbemerkung.
    Gruß an alle hier

    • Georg said,

      24. Januar, 2017 um 11:48

      Wenn der Baum beim letzten Sturm umgefallen wäre, hätten die Verantwortichen was falsch gemacht, wenn er geschädigt gewesen ist und man dies deutlich erkennen konnte.

      Die Herausforderung ist es immer wieder einen geschädigten Baum zu fällen bevor er umfällt.

      • BaL said,

        24. Januar, 2017 um 20:02

        Wir fragen uns, warum das oben aufgeführte Gutachten von 2013 und inbesondere die sachverständige Stellungnahme dazu von 2017 hier so gar keine Rolle spielen?

        Die finale Lösung, also Fällungen eines Baums, erfordert eine gründliche Einzeluntersuchung. Die hat es in keinem Fall gegeben. Und eine aktute Umsturzgefahr wurde auch für keinen der 91 Bäume behauptet, sonst wäre ein dreijähriges Zuwarten allerdings grob fahrlässig gewesen.

        Des Senat sprach aber schon 2013 von Fällnotwendigkeit aus Gründen der Verkehrssicherheit und fühlte sich der Pflicht, einen konkreten Nachweis zu führen, wie so oft enthoben.

        Nein, die Bäume stehen dem ohne Beteiligung von Naturschutzverbänden und Vertreter*innen der Öffentlichkeit geplanten Umbau im Wege, während bereits auf dem platten Land die Forderung erhoben wird: „Schon bei Erteilung einer Baugenehmigung sollten Fragen des Baumschutzes geprüft werden.“

  2. Georg said,

    25. Januar, 2017 um 7:12

    Hier prallen die üblichen verschiedenen Meinungen wieder mal aufeinander.

    Die genannte Stellungnahme ist eine private Meinung eines Sachverständigen der aber zu dem Thema kein rechtlich fundiertes Gutachten geschrieben hat, dem steht ein Gutachten einer öffentlich bestellten Sachverständigen gegenüber für das Sie im Gegensatz zur Stellungnahme auch haftet.

    Das die Fällungen deshalb fortgesetzt werden halte ich für richtig und das es in Berlin gegen Baumfällungen immer wieder Einwände gibt ist nicht ungewöhnlich, zumal meist nur immer das negative veröffentlicht wird und positive Entwicklungen als normal angesehen werden. Eigentlich können einem die Grünflächenämter langsam leid tun, denn im großen und ganzen halten Sie dem Laden am laufen obwohl Ihnen von allen Seiten Steine in den Weg gelegt werden und für Grün nie mehr Geld da ist.

    • BaL said,

      25. Januar, 2017 um 17:59

      Ach nee, die beauftragte Kurzstellungnahme (schließlich herrschte Zeitdruck) eines renommierten, öffentlich bestellten Baumsachverständigen wird als Privatmeinung abgetan? Die Kritik am Gutachten von 2013 ist fachlich begründet, und allein darauf sollte mensch sich bitte beziehen.

      Btw. ist Berlins Straßenbaumbestand seit längerem rückläufig und über die Hälfte der Abgänge ungenügendem Baumschutz am Bau geschuldet (Verstoß gegen Berliner Baumschutzverordnung, die DIN 18920, RAS-LP 4 und ZTV Baumpflege)!


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