BWB-Vorhaben Weserstraße/Reuterkiez
Einige Flyer vier Tage vorher sollen genügen
Sechseinhalb Jahre saßen Vertreter der Berliner Wasserbetriebe (BWB) im Mediationsforum „Zukunft Landwehrkanal“, stellten bisweilen Jahre im Voraus ihre Planungen vor, erörterten Alternativen, kurz: beteiligten die Stakeholder vorbildlich −, doch als es mit einigem zeitlichen Abstand dann um eine Maßnahme am Paul-Lincke-Ufer und in der Lausitzer Str. in Kreuzberg ging, überrollten sie Anwohner*innen und Forum mit der Ansage, dass alle Bäume auf einer Straßenseite gefällt werden müssten.
Es gab keine Infoveranstaltung, keine nachvollziehbare Darlegung, warum die gewählte Methode alternativlos sei, und als dann unterm Druck von Öffentlichkeit und Forumsmitglieder Beteiligung nachgeholt wurde, standen am Ende eine ökologisch schonendere Bauweise und, mit einer Ausnahme, auch noch alle Straßenbäume. Auch stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, dass die Mediationsvereinbarung im Hause der Wasserbetriebe nur den wenigsten bekannt war.
Die Weserstraße in Neuköllns Reuterkiez gehört nun nicht mehr zum Einzugsbereich LWK, aber ein Bewusstsein über die unabdingbare Notwendigkeit frühzeitiger Bürgerbeteiligung bei derlei Vorhaben sollte, so die naive Hoffnung, doch in all den Jahren und angesichts der jüngsten Pleite entstanden sein.
Update 10.09.16: Inzwischen wurden drei der ersten vier Kandidatinnen gefällt (siehe Gerd Bettermanns Kommentar) und — sehr kurzfristig zu einem Infotermin am
BWB-Bürgerinformationsveranstaltung
Mo., 12. September, 18.00 – 19:30 Uhr
im Restaurant SADHU, Weserstr./Pannierstr..
eingeladen. − Siehe auch hier.
Das Vorgehen in besagter Straße nahe der Kreuzung Weichselstraße lehrt da leider ein anderes. Auch in dieser Rücksicht hat die Rekommunalisierung bislang leider gar nichts bewirkt. Vergangenen Freitag (26.8.) wurden nur die Anwohner*innen der unmittelbaren Umgebung durch unauffällige DIN-A4-Zettel an einigen Haustüren darüber informiert, dass die Notwendigkeit, ein defektes Abwasserrohr von 24cm Durchmesser durch eins von 30cm zu ersetzen, infolge des dafür nötigen 1,40 Meter breiten Baugrabens ab Dienstag, 30.8., ungeachtet der Schonzeit (Vegetationsperiode) und mit Ausnahmegenehmigung des Straßen- und Grünflächenamts (SGA) die Straßenbäume gefällt werden müssten, und zwar, wie nachhakende Anwohner erfuhren, sowohl auf der nördlichen Straßenseite mit dem gebrochenen Rohr als auch auf der südlichen, wo man das noch intakte Rohr präventiv gegen den neuen Typ mit größerem Durchmesser tauschen wolle.
Nur die wenigsten sind informiert
Die meisten Anwohner*innen wissen noch immer nichts von dieser massiven Einschränkung ihrer Wohn- und Lebensqualität, zumal die in Seitenstraßen wie eben der Weichselstraße, wo keine Flyer mehr geklebt wurden.
Selbst der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige BWB-Mitarbeiter Stephan Natz war nicht informiert und musste sich zunächst vom betreffenden Projektleiter kundig machen lassen.
Massiver Eingriff ins Wohnumfeld!
Anwohner*innen verweisen nun auf die vielen Fledermäuse, die sie mit einbrechender Dämmerung in ihrer Straße beobachten und die wohl zum Teil ihre Wochenstuben in den fraglichen Linden haben, doch von einer artenschutzrechtlichen Begutachtung oder überhaupt der Involvierung der Unteren Naturschutzbehörde verlautete im Zusammenhang mit dem Erteilen einer Ausnahme-Fällgenehmigung nichts. Gerne wüssten wir, ob eine pauschale Abholzerlaubnis gegeben wurde oder die Bäume individuell aufgeführt und beschrieben sind. Denn zum Thema „Ersatzpflanzung“: Immerhin muss es dafür eine Baumwertermittlung geben, üblicherweise nach der sog. Methode Koch (es handelt sich ja nicht nur um „Entnahme“ eines oder mehrerer Einzelbäume, sondern um die Entfernung eines alleenartigen Gesamtbestands), damit die Höhe der Kompensation ermittelt werden kann —, doch ist uns auch davon nichts bekannt.
Eine Woche Zeitgewinn
Aus welchen Gründen das Fällen erst mal um eine Woche verschoben worden ist, können wir auch nicht sagen. Ebenso nicht, ob, da es sich doch nicht gerade um eine Petitesse handelt, der Vorgang mal im Stadtentwicklungs- oder Umweltausschuss der BVV Neukölln erörtert worden ist.
Das Bezirksamt Neukölln sah jedenfalls von sich aus keinen Anlass, die Öffentlichkeit zu informieren. Man könnte sich eine Pressemeldung vorstellen, die auch online abrufbar wäre. Dies ebenso auf der Site der Wasserbetriebe, welche Transparenz rund um die Versorgung der Menschen mit einem so essentiellen Gut und gerade auch nach dem überteuerten Rückkauf von Veolia und RWE den nun wieder landeseigenen BWB gut anstünde.
Beteiligungsrückschritt!
Nach allem Deklamieren des Chors der Fraktionen über die Wichtigkeit früh- und rechtzeitiger Bürgerbeteiligung ist solch ein Verwaltungshandeln erst recht unannehmbar! Wie in der Lausitzer muss es vielmehr auch in der Weserstraße zunächst mindestens eine Bürger*innen-Infoveranstaltung geben, um die angebliche Alternativlosigkeit transparent und nachvollziehbar darzulegen und zu diskutieren: Schließlich geht es um einen gravierenden Eingriff ins Wohnumfeld der Betroffenen und in die Habitate unserer geschützten bzw. streng geschützten nicht-menschlichen Mitbewohner, nämlich der Vögel und Fledermäuse. Der ökologischen Serviceleistungen neuer Bäume werden sich, wenn überhaupt, allenfalls kommende Generationen bedienen können. Die gegenwärtige hat sich erst mal auf Verwüstung einzustellen.
Dass das langjährige, aufwändige Beteiligungsverfahren zum LWK auch hier und abermals keinerlei Strahlwirkung entfalten konnte (auch Vertreter des Bezirks Neukölln saßen schließlich im Forum und unterzeichneten die Mediationsvereinbarung!), kann uns schon nicht mehr überraschen, erfüllt uns bloß noch mit Frust und Wut.
Anwohner*innen machen mobil
Engagierte Anwohner*innen wollen sich nun organisieren und die bewährten Mittel einsetzen, um dieser Art obrigkeitsstaatlichen Durchgriffs entgegenzutreten. „Die Bäume sind für mich ein großes Stück Lebensqualität“, betont eine Anwohnerin und erklärt: „Sie sind sogar mit ein Grund, weshalb ich damals hierher gezogen bin.“
Salamitaktik
Vor den Wahlen sollen übrigens nur vier Linden dran glauben, doch danach soll es sogleich weitergehen und die Weserstraße von Weichsel- bis Pannierstraße radikal im Wortsinn entbaumt werden. − Wir haben die Probanden noch nicht gezählt.
[Nachtrag, 1.9.16:] Damit kein unnützes Missverständnis aufkommt
Es ist sehr wohl möglich, dass es zur Baumfällung keine andere Option gibt. Aber ich will dies als mündigeR Bürger*in erklärt, begründet und damit gerechtfertigt haben und nicht zusammen mit der Mitteilung übers fällige Strom- und Gasablesen den Hinweis bekommen, dass alle Bäume in meiner unmittelbaren Umgebung „im August“ gefällt werden. „Alternativlos“ und noch schnell in der Schon- und zugleich Ferienzeit. Die Leute kehren aus dem Urlaub zurück, und alle Bäume ihrer Straße sind verschwunden. Es soll Menschen geben, die so etwas schockiert…
Gerd Bettermann said,
9. September, 2016 um 10:13
Der Beitrag trifft die Situation auf den Punkt genau. 3 der 4 Bäume sind mit Polizeiunterstützung bereits gefallen, obwohl die Fällgenehmigungen nicht vorgezeigt werden konnten.
In einer Veranstaltung „Berlin wählt und Neukölln auch“ am 6. September 2016 in der Hofperle stellten sich die Kandidaten zur Bezirksverodnetenversammlung Fragen. Die Frage nach der Weserstraße wurde gestellt. In den Antworten fiel kein Wort über eine Bürgerbeteiligung, nur Informationsveranstaltung. Es wurde auch schon erwähnt, dass man über die Zahl der Bäume beraten hätte und man sich darauf verständigt hätte, statt 30 (Anm.: mit den 6 im Februar bereits gefällten Bäume wären es 36) 60 nachzupflanzen. Über Alternativen zur Baumfällung nachzudenken scheint man nicht gewillt zu sein. Dass eine rechtzeitige Information der Bürger versäumt wurde (erst ein Tag vor Beginn der Straßensperrung), wurde beklagt. Dass dennoch 3 Bäume gefällt wurden, haben die Bürger/innen wohl einfach hinzunehmen.
Die BWB laden jetzt, nach einigem Protest der Anwohner/innen und unter Einschaltung des „Bündnisses 90 die Grünen“ nun zu einer Informationsveranstaltung ein
Termin/Ort:
Montag 12.9.2016 18.00 – 19:30 Uhr im Restaurant SADHU, Weserstraße 203 Ecke Pannierstraße.
Die Einladung erfolgt wiederum unauffällig. Motivation ist die Informationspflicht, nicht aber der Wille, die Anwohner/innen zu erreichen.
Ob weitere Straßenabschnitte mit derart massiven Maßnahmen zu rechnen haben, ist unklar. Die Salamitaktik zur Verhinderung, dass sich viele gleichzeitig wehren und damit hohe Wogen schlagen, darf nicht aufgehen. Deshalb der Aufruf an alle, denen unsere Stadtbäume am Herzen liegen und am Montag Zeit haben:
Kommt ins SADHU 12. September 2016, 18:00 Uhr
A.G. said,
14. September, 2016 um 17:25
Was die AnwohnerInnen in der Neuköllner Weserstraße derzeit erleben kommt mir sehr bekannt vor.
Schon am 27.05.2013 haben wir in einem Positionspapier, das im Auftrag der AnwohnerInnen der Lausitzer Straße von uns verfasst wurde, gefordert:
„Die AnwohnerInnen müssen in ganz Berlin frühzeitig und transparent über alle geplanten Baumaßnahmen der Wasserbetriebe informiert werden.“
Das Papier, in dem auch kritisiert wird, das die Gewässerqualität des Landwehrkanals durch die BWB – Baumaßnahmen im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) nicht ausreichend verbessert wird, haben sowohl der damalige Umweltsenator, als auch alle Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus erhalten.
In dem Mediationsverfahren „Zukunft Landwehrkanal“ konnten die BürgervertreterInnen keine ökologischere, baumerhaltende Tunnelbohrbauweise für das Auslaufbauwerk und den Regenüberlaufkanal in der Lausitzer Straße bzw. am Paul-Linke-Ufer durchsetzen, obwohl die BWB -VertreterInnen persönlich mit am Mediationstisch saßen.
Erst durch die Aktivierung der Medien sowie von Bundes- und LandespolitikerInnen konnten wir dann doch noch eine ökologischere Bauweise und den Erhalt der meisten Bäume in der Lausitzer Straße erreichen.
Wichtig war dabei u.a. ein Dringlichkeitsantrag im Abgeordnetenhaus.
Ohne stets erneuten öffentlichen Druck geht es offensichtlich nicht. Viele ehemalige offizielle Akteure des 1,7 Mio. Euro teuren „Beteiligungsverfahrens“ zur Sanierung des Landwehrkanals haben bis heute kein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer echten BürgerInnenbeteiligung und für die Notwendigkeit die wertvolle Stadtnatur in Zeiten der Klimaerwärmung mit ihren zunehmenden Hitzeperioden und Strakregenfällen zu erhalten.
Leider zwingt sie die bestehende Rechtslage auch nicht dazu.
Letzteres kann man in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nachlesen, das infolge meiner Fragen zur Rechtslage, die ich an Bundestagsabgeordnete richtete, erstellt und veröffentlicht wurde. Titel: „Verbindlichkeit von Mediationsvereinbarungen“.