Grünzug-Erschließung im Wannseebahngraben

Ein Bürgervorgespräch

Sehr beengte Verhältnisse herrschten am Donnerstagabend im Stadtteilverein Schöneberg, sowohl räumlich wie zeitlich. Fünfzig, sechzig AnwohnerInnen und Interessierte drängten zum „Bürgergespräch“ über die Gestaltung des Grünzugs entlang des Wannseebahngrabens, und manche mussten in der offenen Tür stehen. Als würde das nicht reichen, verwies Martin Seebauer, in der spannungsreichen Doppelrolle des Moderators und Planers auftretend, sogleich auf die begrenzte Zeit: schon in zwei Stunden hätten die nächsten Gäste die Räumlichkeiten gebucht. (Auf sein Angebot eines weiteren Vorgesprächs ging niemand ein.)

Gedränge im Stadtteilverein

Gedränge im Stadtteilverein Schöneberg am 19.9. (Bilder zum Vergrößern anklicken!)

Neben den PlanerInnen von Seebauer, Wefers & Partner waren BezirksamtsvertreterInnen aus dem Stadtentwicklungsamt und vereinzelt auch BVV-Mitglieder anwesend.

Martin Seebauer erklärte freimütig, er sei hier als Moderator nicht neutral, vertrete eindeutig Planerinteressen − genau deswegen war er bei einer Bezirksamtsveranstaltung zur Bautzener Brache schon einmal von vielen BürgerInnen als befangen abgelehnt worden und wollte Ähnlichem wohl zuvor kommen. Jetzt gehe es doch vor allem darum, etwas ganz Neues, Verrücktes, ein Experiment zu wagen und Bürgerinnen und Bürger von Anbeginn in die Planung mit einzubeziehen, ja mehr noch, vor jeder Planung erst ihre Interessen und Wünsche zu erkunden.

[Update 4.10. Auf der BA-Site (Stadtentwicklungsamt → Aktuelles) entdeckt: das „offizielle“, undatierte Protokoll des Planungs- und Moderationsbüros. −
Die von Stadtentwicklungsamtsleiter Siegmund Kroll zugesagte Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie (drei Pläne) steht leider noch immer aus.]

Ernster Tempelschöner Neustart-Versuch in echter Beteiligung?

Darauf hingewiesen, dass dieses Vorgehen eigentlich seit 2006, dem Beschluss der Lokalen Agenda 21 durchs Abgeordnetenhaus, bei allen größeren Planungsvorhaben Standard sein sollte, bislang im Bezirk aber vergeblich eingefordert worden sei, verkündete Seebauer, dass dies jetzt eben anders und besser werden solle. Er handele als beauftragter Landschaftsarchitekt, der künftig solche Planungen nicht mehr im Kämmerlein konzipieren wolle, um sie dann den Bürgern vorzustellen und zu fragen, was gefalle, was nicht, sondern es gehe ihm und seinen MitarbeiterInnen um gemeinsames Planen von Anbeginn.

Martin Seebauer in action

Planer- & BezirksamtsvertreterInnen in Aktion

Misstrauen überwiegt

Ungeachtet dieses enthusiastischen Einstiegs legte sich die ziemlich gereizte Stimmung unter den Planungsbetroffenen nicht, eher im Gegenteil.

Es habe keine ausreichenden Vorinformationen gegeben, die in der Bürgerversammlung am 29.8. erwähnte Machbarkeitsstudie, die der DB Netz seinerzeit vorzulegen gewesen seien − insgesamt drei Pläne, die BürgerInnen vor einigen Tagen mühsam abfotografierten, weil sie entgegen der Zusage doch nicht online gestellt worden waren, um „keine Verwirrung“ zu stiften.

Nun erklärte Siegmund Kroll, Leiter des Tempelhof-Schöneberger Stadtentwicklungsamts, seine Bereitschaft, es mit entsprechendem Hinweis auf die Überholtheit der Unterlagen nachzuholen bzw., so geht das Gerücht, sollen sie inzwischen schon im Netz stehen, allein wir finden sie auf der Seite des Stadtentwicklungsamts, wie auch so manch anderes, nicht und mahnen ohne große Erwartungen auch in dieser Hinsicht mehr Transparenz und „Barrierefreiheit“ an. [Siehe auf der verlinkten Seite den Eintrag unterhalb des 17.6. (!), während das 3 MB große Einladungs-PDF manchen Browser glatt abstürzen lässt.]

Ablauf

Ablaufplan Vorgespräch

Nicht von Ungefähr sind die AnwohnerInnen misstrauisch und gereizt, sondern gebrannte Kinder, wenn man nur aktuell an die Projekte Crellestr. 22a, die Bautzener Brache, die gleichnamige Treppe und die jüngsten Park- und Landschaftsbau-Desaster von Gleisdreieck- bis Flaschenhalspark denkt.

So betrafen die ersten energischen Fragen die Art des Planungsauftrags und seine Grenzen:

Die lägen in den ominösen städtebaulichen Rahmenbedingungen, erläuterte Siegmund Kroll − die bieten bekanntlich einen weiten Auslegungsspielraum. Der Förderantrag spreche von einer „multifunktional nutzbaren Durchwegung“ des Grünzugs, nicht explizit von einem Radweg, und auch der Spielplatz sei „kein Zwangspunkt“. Ein ad hoc befragter Vertreter der jungen Generation teilte zur allgemeinen Heiterkeit mit, es gäbe deren genug.

Fortsetzung nach Süden ungeklärt

Die Weiterführung des (Rad-)Wegs nach Süden ist, wie schon auf der erwähnten Bürgerversammlung berichtet, von der Bahn noch nicht genehmigt, die naturgemäß schwierigen Verhandlungen mit der DB Netz zögen sich hin: der Gestattungsbereich (orange) innerhalb der Vorhaltefläche für die Stammbahn [siehe hier] dürfe bis 2025 genutzt werden, doch für die langfristige Nutzung des westlich angrenzenden Streifens müsse erst noch ein Nutzungsvertrag ausgehandelt sowie eine kleinere, südlich angrenzende Fläche angekauft werden – kurz: vorerst endet der Weg gen Süden abrupt.

Gestattungsfläche

Gestattungsfläche der DB Netz (siehe auch den Link oben!)

Weitere Fakten

  • die zu beplanende Fläche beträgt insgesamt ungefähr zwei Hektar
  • zeitliche Grenze: 2014 muss begonnen werden
  • 2,1 Mio. € Fördermittel müssen verausgabt werden, da sie sonst „verfallen“

Ablauf

  • In diesem „Vorgespräch“ wollen die PlanerInnen mit „großen Ohren zuhören“ und die Interessen & Bedürfnisse der Planungsbetroffenen sammeln
  • in der „Ideenwerkstatt“ betitelten Folgeveranstaltung Mitte Oktober soll daraus gemeinsam eine Kriterienliste entwickelt werden
  • in einer sog. Planungswerkstatt Anfang Dezember wird es dann um den bis dahin entwickelten Vorentwurf gehen, der aber – so wurde auf Nachfrage beteuert – keineswegs das Ende der Beteiligung bedeute.

Lieber erstmal Plenum statt Kleingruppen

Den meisten der sich um einen großen Tisch drängenden AnwohnerInnen ging es zunächst um Abklärung der Rahmenbedingungen; nur eine kleine Minderheit wollte sich gleich in AGs aufteilen lassen, um „intensiver zu diskutieren“. Die Diskussion im Plenum war intensiv genug, schon weil Seebauer unausgesetzt aufs Tempo drückte, während eine Dame aus dem Bezirksamt das mit den Arbeitsgruppen nicht losließ. Die sollten sich jedoch u.E. bezogen auf die Themen konstituieren, die sich im Plenum als tiefer zu bearbeiten herauskristallisieren.

Verfahrens- und Sachebene trennen!

Die bereitgestellten blauen Karten und Stifte wurden sogleich eifrig fürs Notieren von Interessen und Wünschen genutzt, doch leider nicht für alle sichtbar angepinnt, sondern mit der Versicherung eingesammelt, sie nach Themen geclustert auf der Site des Planungsbüros zu veröffentlichen. Vor allem sollten u.E. die Meinungsbekundungen nach Verfahrens- und Sachebene unterschieden werden, wofür sich gleich unterschiedlich gefärbte Karten angeboten hätten.

Weitere Anregungen können auch an mediation[ät]swup.de gerichtet werden.

Ein Hinweis

Die derzeit zu beobachtenden Arbeitsaktivitäten hätten mit diesem Projekt nichts zu tun, sondern die Bahn müsse im Zuge der Yorckbrücken-Sanierung Kabel den Schächten entnehmen, reparieren und dann neu verlegen, weshalb der Bezirk auf kleinem Areal eine Sondernutzung gestattet habe.

Bürgervorgespräch

BürgerInnenvorgespräch zu Interessen, Bedürfnissen und Wünschen

Interessen und Bedürfnisse

Integrierte Planung − ganzheitliches Herangehen

Es geht nicht nur um den Bebauungsplan-Plan 7-69, sondern bspw. auch um den Crellemarkt, der einen ebenerdigen, barrierefreien Zugang auf die Fläche bietet (ebenso wie an der Ebersstraße), d.h. hier gelte es, „weiche Grenzen“ zu gestalten. Ganz allgemein dürfe die Erschließung des Wannseebahngrabens nicht isoliert gesehen, sondern mit den Planungen in nächster Umgebung koordiniert und verzahnt werden.

Und dies nicht zuletzt, was die Radwegeführung betrifft: ein Vorschlag des bezirklichen FahrRates, in dem auch ein Tiefbauamtsvertreter sitzt, die Crelle- zur Radstraße umzuwidmen, würde zu zwei parallelen Radwegen führen, die gewiss nicht gebraucht würden.

Zur geplanten Streckenführung des Fernradwegs Berlin − Leipzig hatte es seinerzeit von Senatens geheißen, sie verlaufe „durch den Nelly-Sachs-Park − Dennewitzstraße − Bülowstraße − Mansteinstraße − Crellestraße − Langenscheidtbrücke − Czeminskistraße − Leberstraße − Torgauer Straße − Naumannstraße − Hans-Baluschek-Park − Priesterweg − Prellerweg − Sembritzkistraße in den Bezirk Steglitz-Zehlendorf“, wie das BA am 11.11.11 in der Drs. 0382/XVIII der BVV mitteilte. Die Barriere, dass der von Norden kommende Radverkehr an der Bülowstraße geradewegs in den entgegenkommenden Kfz-Verkehr gelenkt wird, konnte in den letzten Jahren nicht geschleift werden, aber seine Führung durch Grünanlagen wie Gleisdreieck, Flaschenhalspark und jetzt den Grünzug entlang des Wannseebahngrabens sei denkbar überflüssig und strikt abzulehnen!

„Der Crelle-Urwald bleibt!“

Die ganz überwiegende Mehrheit forderte, dass Böschungsvegetation, Grünstreifen und Bestandsgehölz entlang der Trasse so erhalten werden, wie sie sich entwickelt haben.

Kein Asphalt!

Ziemlich einhellig war auch die Auffassung, den Weg spazierfreundlich zu gestalten, also weder als Radstraße noch als Skaterbahn mit Asphalt oder Beton zu befestigen und auch nicht schnurgerade, sondern um Bäume herumzuführen, also mäandern zu lassen, um Gehölze zu schützen.

Munition und Altlasten als Argumente kostenträchtiger Totalberäumung

Das Argument der Kampfmittelräumung, das an der Bautzener Straße vielerorts zum Abtragen fast der ganzen Böschung geführt hat, ziehe hier nicht, so ein Anwohner, denn zur Anlage des inzwischen wieder rückgebauten Industriegleises zum Potsdamer Platz sei schon eine Kampfmitteluntersuchung erfolgt, für welchen Hinweis Planer- wie BezirksamtsmitarbeiterInnen artig dankten. Steht freilich noch zu befürchten, dass dann eben hochtoxische Altlasten entdeckt werden. Um noch das oft verwandte Argument zu wiederholen: Wenn es danach ginge, könne man halb Berlin abtragen.

Erhalt der durchgehenden Grünverbindung

Zweifel wurden laut, ob das noch für September vom Büro planland erwartete natur- und artenschutzfachliche Gutachten (erstellt, nachdem es bereits Teilrodungen gegeben hatte!) den Kriterien des Berliner Landschaftsprogramms gerecht würde. Im Gutachten zur Crelle-Böschung sei bspw. Pionierwald  als geringwertig beurteilt, offenbar vorwiegend nach Rote-Liste-Arten geforscht und zu ihrem Vorkommen lediglich Mutmaßungen angestellt worden. Die ökologische Funktion des Landschaftsraums als Verbindungsbiotop, Ausbreitungs- und Wanderkorridor, wofür nicht zuletzt laut Senatsstrategie zum Schutz der biologischen Vielfalt neben Gewässerufern Bahntrassen prädestiniert sind, seien jedoch unberücksichtigt geblieben. Hier wurde nachdrücklich das Interesse an entsprechend ausgerichtete Kartierungen von Flora, Fauna und Biotoptypen artikuliert, und zwar vor weiteren Eingriffen in den Vegetationsbestand.

Fördermittel nicht für Versiegelung und Naturzerstörung missbrauchen!

Starke Skepsis rief die vergleichsweise hohe Summe zur Verfügung stehender Fördermittel hervor, weshalb jetzt schon an vielen Stellen des sog. Nord-Süd-Grünzugs mit Beton und Asphalt nachhaltig in die Stadtnatur eingegriffen werden musste, um Gelder vor dem „Verfallen“ zu bewahren und sie für Tief- und Landschaftsbau auszugeben, was die Notwendigkeit einer gründlichen Überarbeitung der Förderkriterien mitsamt der ~ Kulisse deutlich macht.

Dokumentation

Dokumentation

Immerhin wird der Anspruch erhoben, diesmal solle es anders, solle es besser gemacht werden, und die zuweilen hochschlagenden Emotionen mancher Betroffener sind mit Blick auf die letzten Zeugnisse des Stadtumbau West nur allzu verständlich. An etlichen Stellen soll noch in die Bahntrasse und den sog. Nord-Süd-Grünzug hineinbetoniert werden oder geschieht es längst (Flottwell-, Eylauer Straße). Die Erfordernisse der rasant auf noch ganz andere Krisen zusteuernden Stadtgesellschaft werden selbstgefällig ignoriert, bewusst missverstanden oder kleingeredet − selbst von Mitgliedern der Partei, die mal ihren Markenkern im konsequenten Angehen dieser Problematik gesehen hat −, ohne die auf allen Ebenen und in jedem Sinn zu beobachtende Verarmung des urbanen öffentlichen Raums überhaupt noch wahrzunehmen.

Abschließend noch ein Video zum Veranstaltungsauftakt

3 Kommentare

  1. 22. September, 2013 um 14:43

    Habe selten jemanden so eloquent zuhören hören wie den Planer in diesem Video. Allerdings hätte man zur Ruhigstellung der Bürger außer bunten Zettelchen und Malstiften vielleicht noch ein paar bunte Bauklötze springen lassen sollen.

  2. Grrenhorn said,

    23. September, 2013 um 15:37

    Auch weil die Leute merken wie schlecht die Stadtentwicklungspolitik umweltpolitisch unter StadträtInnen der Partei B 90 /DIE GRÜNEN ist, sind die Grünen in Berlin von den BerlinerInnen nur noch an die vierte Stelle gewählt worden bei der jüngsten Bundestagswahl. Auch in Baden-Württemberg glauben die Leute den Grünen nichts mehr, seit sie zugucken müssen wie Grün-Rot überhaupt nichts gegen Stuttgart 21 macht.

    Die Grünen sind in Berlin auf 12,3 % abgestürzt (von 17 % bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus). Sogar Hans-Christian Ströbele hat 10 % verloren, hat aber als einziger Grünen-Politiker wieder ein Direktmandat im Bundestag errungen.

    Die Damen und Herren von der arroganten Partei sollten sich endlich von ihrem hohen Ross herab und auf Augenhöhe mit den BürgerInnen begeben. Außer sie wollen sich überflüssig machen.

  3. Crellebewohner said,

    24. September, 2013 um 17:15

    Dieser Bericht macht mehr als deutlich, warum Beteiligung aller Bürger bei solchen Projekten zu jahrelangem kostenintensive Gezerre führt. Da wundern sich die „Bürger“, warum Behörden sich schwertun jeden Schritt (wie gerne immer wieder gefordert) mit allen Interessensgruppen abzustimmen. Man kann es sowieso niemals allen recht machen, der Grundtenor ist hier deutlich Misstrauen, Frust, verdrängte Wut aus anderen Bereichen, persönliche Interessen (Fußgänger kämpfen für Fußwege, Fahrradfahrer für Fahrradwege, etc.) Das ist doch der beste Beweis: Das Motto war „die Planer hören zu“ und die Bürger machen daraus „Glauben wir nicht, die Planer wollen uns reinlegen“. Leute, lasst es bleiben, mit dieser Haltung wird das sowieso nichts mehr im Leben…


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