Werkstatt oder Schaufenster?

Bürgerversammlung zur Schöneberger Schleife

Podium

Das Podium

Seit Jahren gefordert und beharrlich beantragt, dann am 16.12.09 von der BVV Tempelhof-Schöneberg fürs 1. Quartal 2010 beschlossen − letzten Donnerstag (22.4.) war’s endlich so weit: Im Theodor-Heuß-Saal des Schöneberger Rathauses sollte das erste „Werkstattgespräch“ zum „‚Stadtumbau SÜDKREUZ‘ − Entwicklung des Grünzuges zwischen Gleisdreieck und Südgelände“ geführt werden. Rund fünfzig Menschen waren der Einladung gefolgt, von denen längst nicht alle einfach nur interessierte BürgerInnen waren. Die „Gesprächsrunde“ aber entpuppte sich als Informationsveranstaltung mit ein bisschen „Sie fragen − Wir antworten“ und war auch keine Runde, sondern Frontalunterricht, dessen Bürgernähe sich darin erschöpfte, dass das Podium nicht erhöht war. Daran Platz genommen hatten Klaus Müller von der Senatsverwaltung, vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg Siegmund Kroll, Amtsleiter Planung und Denkmalschutz, Baustadtrat Bernd Krömer und Manfred Sperling vom Fachbereich Planen sowie von den beauftragten Planungsbüros Eva Mühlbauer vom Atelier Loidl und Eva-Maria Boemans vom Landschaftsarchitekturbüro Thomanek Duquesnoy Boemans. − Weitere PlanerInnen und VertreterInnen von Grün Berlin hatten sich unters Volk gemischt.

Siegmund Kroll galoppierte, sichtlich stolz über das schon Geleistete [siehe auch hier], zunächst durch die fünf Teilbereiche des Stadtumbaugebiets innerhalb der sog. Schöneberger Schleife, des als Schlüsselprojekt zur (grünen) Vernetzung von Bahnhof Südkreuz und Innenstadt, Südgelände und Potsdamer Platz/Tiergarten konzipierten Rundwegs: Ausgehend vom Gleisdreieck-Park im Norden, der geplante Park auf der Bahnbrache „Flaschenhals“; das untergenutzte, aber bereits von starker Umbautätigkeit erfasste Gewerbegebiet Naumannstraße mit geplanter Ost-West-Grünverbindung bis Cherusker Park inkl. Fuß- und Radweg-Brücke über die Dresdener Bahn; die Gewerbe- und Kulturkaserne General-Papestraße mit Geschichtsparcour, Schwerbelastungskörper, Messpunkt und dem als Gedenkort zur NS-Frühzeit geplanten ehem. SA-Gefängnis Haus 54a; der sog. Schöneberger Linse, wo eine vom Senat unterstützte Eigentümer-Initiative gerade ein Marketing-Konzept für ein neues Stadtteilzentrum entwickle; und schließlich das ehem. GASAG-Gebiet mit dem heftig umstrittenen B-Plan 7-29, auf dem das Mammutprojekt des Europäischen Energieforums (EUREF) verwirklicht werden soll, mit dem Gasometer als Wahrzeichen.

Ab Festsetzung des Stadtumbaugebiets 2005 seien nach bescheiden Anfängen erst ab 2008 durch das Programm Stadtumbau West größere Summen geflossen und bislang 7,5 Mio. Euro investiert worden. Der Bezirk wünsche sich für die folgenden Programmjahre bis 2013 jeweils weitere 4,1 Mio., also insgesamt 12,3 Mio. Euro, müsse hierbei jedoch sicher noch Abstriche machen.

Manfred Sperling machte sich anheischig, diese abstrakten Ausführungen zu konkretisieren und betonte, wie zentral das Thema Fahrrad für die Gestaltung der Schöneberger Schleife im zu entwickelnden übergeordneten Nord-Süd-Grünzug sei. Seit 1997 habe eine Bereichsentwicklungsplanung (Schöneberg Ost) [siehe auch hier] vorgelegen, deren Nutzungskonzept für das Plangebiet überwiegend „Grünfläche“ mit der Zweckbestimmung „Parkanlage“ vorsah, doch erst das Förderprogramm habe die Chance zur Verwirklichung geboten. Zahlreiche Flächenankäufe seien ermöglicht und getätigt worden, weitere Erwerbsverhandlungen im Gange, z. B. an der Torgauer Straße, um den Cherusker Park durch Grünflächen nach Norden und Süden zu erweitern, sowie nördlich und westlich der Monumentenbrücke mit der Deutschen Bahn, wobei es auch um den Rückbau der Kabelverbindungen gehe. Vordringliches Ziel sei jetzt die Grünvernetzung von „Flaschenhals“ und Gleisdreieck-Park aus der Bautzener Straße heraus und übers York-Dreieck hinweg.

Fertige Pläne

Damit hatten die Planerinnen das Wort, die dem verblüfften Publikum in sehr zügigem Tempo jeweils sehr weit gediehene Konzepte präsentierten, welche wir hier unmöglich en detail darstellen können; wir verweisen auf die abfotografierten Folien in unserer Galerie.

Loidl will Natur integrieren

Eva Mühlbauer vom Atelier Loidl, das nach dem Gleisdreieck nun auch den „Flaschenhals“ zwischen Yorckstraße und Monumentenbrücke beplanen darf, stellte die Konzepte für Zugänge, Durchwegung und Vegetation vor. Gegenüber Sport und Spiel im Gleisdreieck-Westpark liege der Schwerpunkt beim Flaschenhals-Park auf der Naturerfahrung und einer extensiven Nutzung dieser naturnahen Fläche inmitten der Stadt. − Das Gebiet unterteile sich in Gleisanlagen, Stadtwald und Ruderalflora mit ökologisch besonders wertvollen offenen Bereichen, sei jedoch wenig erschlossen und werde als Müllplatz missbraucht.

Barrierefreie Eingänge sind von York- und Monumentenstraße und einem „Stadtbalkon“ Kreuzbergstraße her vorgesehen, außer den beidseitigen Rampen soll noch eine Treppe von der Monumentenbrücke hinunterführen. − Der schwarz asphaltierte Fernradweg Berlin – Leipzig werde, um wenig Baumfällungen nötig zu machen, auf der Trasse doppelter Gleisanlagen durch den Stadtwald geführt, soll unter der Monumentenbrücke hindurch verlaufen, dann nach einer 180-Grad-Kehre als Rampe auf die Brücke hinaufführen, um die Fernbahn zu überqueren und anschließend auf der westlichen Seite über eine ähnliche Konstruktion mit vier Prozent Gefälle wieder hinunter in die Grünanlage.

Bei den offenen blütenreichen Trockenrasen und Ruderalfloren gelte es, verschattenden Unterwuchs auszulichten; einzelne Baumgruppen und Solitärbäume sollen zur Gliederung der Offenfläche erhalten werden, während der geschlossene Stadtwald nur durchwegt, aber zur Gänze erhalten werden soll.

Erschließung

Eva-Maria Boemans von Thomanek Duquesnoy Boemans, mit der Planung des Nord-Südgrünzugs befasst, betonte die Wichtigkeit der Ost-West-Grünbeziehung zwischen den voneinander noch immer isolierten Bezirksteilen Tempelhof und Schöneberg und stellte die Frage, wie das Areal für Behinderte, Eltern mit Kinderwagen und den Radverkehr optimal zu erschließen sei. Sieben Eingänge soll es geben, für die schon eine detaillierte Objektplanung vorliegt. An Bautzener Straße bzw. Platz wird ebenfalls ein „Stadtbalkon“ geschaffen, und hier sei die Herstellung von Sichtbeziehungen nötig, damit die Eltern von der Straße bzw. den Wohnungen aus ihre Kinder auf den geplanten beiden sportbetonten Spielflächen und dem Kinderspielplatz immer im Auge haben können. Andererseits wolle man aber „den Charakter des Ortes nicht komplett überformen“ und die Ruderalvegetation einbeziehen. Böschungsschnitte lassen jedoch Schlimmes für die Vorwaldvegetation ahnen, und wir wollen die Darstellung der schon sehr ausgefeilten Planungen hier auch mal abbrechen.

Sie fragen − Wir antworten

Auditorium

Das Auditorium

Nach dieser Informations-Breitseite hatte das Auditorium das Wort. Ralf Kühne, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der BVV Tempelhof-Schöneberg, erkundigte sich zunächst mal, wer hier eigentlich den „Entscheiderhut“ aufhabe. (Frau Boemans sprach von ihrer Auftraggeberin, der Grün Berlin GmbH, als dem „Vertreter des Bezirksamts“.) Drei Jahre hätten Bezirksverordnete und engagierte BürgerInnen vor einer black box gesessen, außerhalb des Wettbewerbs sollte es allenfalls Vorplanungen zum „Flaschenhals“ geben, doch jetzt hätten Atelier Loidl und Grün Berlin hinter verschlossenen Türen schon eine volle Planung realisiert.

Und wir möchten an dieser Stelle fragen, wie nach dem zweifachen Fiasko beider Unternehmen auf dem Gleisdreieck: namentlich der fast restlosen Planierung vergleichbar ökologisch wertvoller Ruderalvegetation auf dem Ostpark und der noch bevorstehenden „Beräumung“ des Westparks für Sport und Spiel einerseits, der Missachtung des erklärten BürgerInnenwillens nach einer naturnahen Parkgestaltung und der Ausmanövrierung seiner VertreterInnen im Zuge der Planungsumsetzung andererseits − wie nach diesen schlimmen, engagierte BürgerInnen regelrecht traumatisierenden Erfahrungen und anerkannte Umwelt- und Naturschutzverbände empörenden Missbrauch vieler Millionen an Kompensationsmitteln sozusagen automatisch, ohne neuerliche Ausschreibung und Vergabeverfahren, die Planung und Realisierung wieder in dieselben − ums vorsichtig auszudrücken − ungeschickten Hände gelegt werden kann?! Und was bitte bedeutet der Teminus „Werkstattgespräche“ (es sollen nun noch „Workshops“ für Feinarbeit folgen), wenn das Aufmaß des Werkstücks vor aller echten BürgerInnenbeteiligung längst feststeht und allenfalls noch feinjustiert werden darf?

Dass es, wie sich Amtsleiter Kroll äußerte, über die Jahre doch zahlreiche Gespräche mit Bürgervertretern „in meinem Büro“ gegeben habe, eine „Steuerungsgruppe“ entscheide und Loidl eben über die Kapazitäten verfüge, sind da doch höchst unbefriedigende Auskünfte. Offenbar entscheidet mal wieder Grün Berlin.

Vehemente Kritik

Podium

Senats- und Bezirksamtsvertreter

Mitglieder des Quartiersrats Schöneberger Norden und der Anwohnerintiative Flaschenhals/Bautzener Straße (AIF) fragten beharrlich, weshalb die Planung an der Großgörschen- bzw. Bautzener Straße 11, wo das eigentliche Sanierungsgebiet beginnt, einfach abbreche und dieser Teil sozusagen abgehängt werde. Und warum der Bezirk nicht die sog. Bautzener Brache zwischen York- und Großgörschenstraße, die im Besitz der Vivico sei und als Bauland verwertet, also überbaut werden soll, überhaupt als solches ausgewiesen habe. Da es ursprünglich planfestgestelltes Bahn- und Außenbereichsgelände gewesen sei, hätte es in seiner Planungshoheit gelegen, es auch so auszuweisen und der Vivico zum entsprechend niedrigeren Grundstückspreis abzukaufen, denn es handele sich, worauf die AIF seit 2007 immer wieder hinweise, um eine für die Entwicklung der Parklandschaft insgesamt sehr bedeutsame Fläche, doch hier habe es offensichtlich einfach am politischen Willen gefehlt. – Baustadtrat Krömer indessen bestand darauf, dass es sich um privates Bauland handele, dessen Eigentümer ein „berechtigtes Verwertungsinteresse“ habe und dass die AIF mit ihrer Ablehnung des Selfstorage-Lagergebäudes eine Option zur Finanzierung z.B. des Projekts „Gebrüder-Grimm-Märchenpark“1 schließlich selber vertan hätte.

Darin konnten die AIF-VertreterInnen nur noch blanken Zynismus sehen, denn dieser hässliche Gebäuderiegel hätte den AnwohnerInnen der Bautzener mal eben den Blick auf den Park verstellt, das (LKW-) Verkehrsaufkommen und damit Lärm und Luftverschmutzung erheblich erhöht und die mühevoll erreichte Aufwertung des ganzen Quartiers wieder entscheidend zurückgeworfen. Und wo bitte hätte der Märchenpark, für den bereits rund 50 Kottbusser Studierenden eine Palette von 19 Entwürfen vorgelegt haben, denn nun entstehen sollen?! – Alles weitere Nachfragen zur Bautzener wurde jedoch als Ausdruck von Partikularinteressen abgewürgt, aber auch Fragen nach dem Cherusker Park, der nach seiner „Anbindung“ mit Asphaltwegen aussehe wie ein „Parkplatz mit Bäumen“ oder nach der Kompensation der Fällung großkroniger Bäume durch Pflanzung kleinkroniger, wurden mit Ausflüchten beantwortet.

Wie viele Fällungen?

Nicht zuletzt kamen Fragen nach der Baum- und Vegetationsbilanz, also wie viel davon denn nun tatsächlich Radwegen, Stadtbalkonen, der Auslichtung und Herstellung von Sichtbeziehungen, der Böschungsgestaltung etc. geopfert werden soll: „Wie viele einzelne Baumgruppen werden denn nicht erhalten?“ − Doch obwohl längst auf der Ebene der Objektplanung angelangt, fanden es die Planerinnen im jetzigen Stadium verfrüht, hierüber auch nur ungefähre Angaben zu machen.

Auch die Frage, warum denn der Fernradweg Berlin-Leipzig nicht gleich, also bereits auf dem Gleisdreieck-Park, westlich geführt worden sei, so dass die Querung des Stadtwalds und das umständliche Auf- und Ab an der Monumentenbrücke entfallen wäre und warum er sich nicht dem geschwungenen Gleisverlauf anschmiege, sondern auf Kosten des Baumbestands eckige Kurven beschreibe, wurden, wenn überhaupt, absolut unzureichend beantwortet à la da der Teltow-Hochrücken hier ins Spreetal übergehe, würden die Rampen den Geländesprung erlebbar machen (Kroll). Im Übrigen solle der „Flaschenhals“ ja gerade nicht die Erholungsnutzung „aufnehmen“, sondern dem Naturerleben dienen; gleichwohl könne man den Aspekt, dass Joggen auf Asphalt als wenig attraktiv beurteilt werde, ja ohne größere Änderungen sicher noch berücksichtigen. − Ein Vertreter des ADFC, der vorwiegend den Fahrrad-Fernverkehr berücksichtigt sieht, zu wenig aber den Alltagsverkehr, zögerte übrigens nicht, noch mehr Eingänge und Rampen zu fordern…

Wann wird endlich die Einsicht Platz greifen, dass durch alles Erschließen, Aufbrechen, Verbinden und Vernetzen das, was sich da im Geschützten, Verborgenen und nur von Wenigen gestört entwickeln konnte und nun für die Massen „erlebbar“ gemacht werden soll, im Nu verschwunden sein wird? Die Analogie zur Tourismusindustrie und ihrer Vermarktung des „Unberührten“ drängt sich auf.

Böschungsauslichtung an der Bautzener Straße 2008

Böschungsauslichtung an der Bautzener Straße 2008

Rückstand in Sachen Bürgerbeteiligung

Abschließend ist festzuhalten, dass diese „Werkstatt“ oder „Bürgerversammlung“ − ob nun absichtlich oder nicht − ausnehmend dilettantisch organisiert war: noch nicht einmal eine TeilnehmerInnen-Liste lag aus, worin sich die E-Mail-Adresse zwecks Zusendung weiterer Infos hätte eintragen lassen. Der Einsatz der neuen Medien beschränkte sich auf die Veröffentlichung der Einladung auf der Bezirksamts-Website. „Werkstattgespräche“ sollten ergebnisoffen geführt und ihr Verlauf muss dokumentiert werden! Die Kriterien, wonach die „Steuerungsgruppe“ Vorschläge und Kritik der BürgerInnen aufnimmt oder verwirft, müssen transparent und nachvollziehbar sein! Und bei zweieinhalb Stunden Dauer konnte es auch wenig verwundern, dass Punkt 5 der Tagesordnung „Diskussion des weiteren Vorgehens zum Werkstattverfahren“ sang- und klanglos hinten runterfiel.

Den Vorschlag, das Protokoll dieser Veranstaltung sowie die Planunterlagen online zugänglich zu machen, will Baustadtrat Krömer auch gerne erwägen. Wir befürchten allerdings, es wurde am 22.4. offiziell gar nichts protokolliert. Und der im persönlichen Gespräch geäußerte Vorschlag, ein interaktives Modul einzurichten, sodass auch Menschen, die am realen Besuch solcher Veranstaltungen verhindert sind, virtuell ihre Wünsche und Interessen, Ergänzungen und Kritik ins Beteiligungsverfahren einspeisen können, wurde mit verdrehten Augen quittiert, so als seien für solchen Tinnef nun wirklich keine personellen Kapazitäten vorhanden.

[Siehe auch Gleisdreieck-Blog]

Noch ein aktueller Termin:
Montag, 26.4., 17 Uhr tagt der Umweltausschuss der BVV Tempelhof-Schöneberg, Raum 2113 im Rathaus Schöneberg −, und wer zu unserem Bericht über den Werkstatt-Auftakt Ergänzungen hat, Korrekturen oder Kritik: das Kommentarfeld steht weit offen!

[Update vom 24.6.: Das offizielle Protokoll wurde am 15.6. er- bzw. online gestellt.]

Die Präsentationen


1 Die Grabstätte der Gebrüder Grimm befindet sich auf dem dortigen St. Matthäus Kirchhof