Arbeit am „Grünen Leitbild Berlin“

Nachricht von einem Symposium

Aus Anlass der 42. Verleihung des Peter-Joseph-Lenné-Preises 2009 für den Nachwuchs in Landschaftsarchitektur und Freiraumentwicklung veranstalteten SenStadt und seine Grün Berlin GmbH letzten Donnerstag (1.10.) im gläsernen Bau der Akademie der Künste am Pariser Platz ein Fachsymposium „Grünes Leitbild Berlin“ mit Referenten aus Frankreich, Italien und Deutschland.

Es hieß, dies sei die Auftaktveranstaltung und -diskussion zur Arbeit an genanntem Leitbild, der weitere folgen sollen. Vornehmlich VertreterInnen von Senat und anderen Verwaltungen, Gartenamtsleiter, Landschaftsplaner- und -architektInnen füllten das Halbrund der Stuhlreihen; manche der ohnehin nicht zahlreichen Plätze blieben allerdings leer. Zwei Mitglieder von Umwelt- und Naturschutzverbänden waren zu entdecken, aber nur ganze drei BürgervertreterInnen, und die hatten sich quasi selbst einladen müssen.

Wir können uns hier leider nicht mit den aufschlussreichen und inspirierenden Referaten zu den „grünen Ambitionen“ Amsterdams, Barcelonas, Paris’, Mailands oder auch Essens auseinandersetzen, geschweige mit den dortigen Projekten im einzelnen, worüber wir uns zunächst noch kundiger machen müssen, doch sei dennoch − vielleicht allzu summarisch − gesagt, dass jedenfalls auch in anderen europäischen Metropolen im Angesicht des Klimawandels die Beteiligung der Zivilgesellschaft, der Bürger- und AnwohnerInnen am ökologischen Stadtumbau auf dem zentralen Gebiet der Landschaftsgestaltung und Freiraumplanung nicht eben groß geschrieben wird – Agenda-21-Prozess und Leipziger Charta, welche doch zumindest für die Großstädte der EU gelten sollen, hin oder her. Exemplarisch sei hier die Auskunft des Beiträgers aus Frankreich zitiert, des Schweizer Kulturgeschichtlers und Publizisten Joseph Hanimann, einem Mitstreiter im stadtplanerischen Projekt Le Grand Paris, mit dem Präsident Sarkozy seine Wahlversprechen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung einzulösen versucht: „Mit den Bürgern“, so Hanimann „haben wir nicht gesprochen.“

Neben der Selbstdarstellung der Senatsverwaltung wollen wir kursorisch nur auf den gemeinsamen Beitrag Carlo Beckers (bgmr) und Friedrich von Borries (Raumtaktik) eingehen, da er sich eben mit dem Berliner Leitbild befasste [siehe unten].

Warum braucht Berlin ein Grünes Leitbild?

In ihrem Grußwort sprach Staatssekretärin Maria Krautzberger namens der Landesregierung von der Notwendigkeit einer strategischen Neuausrichtung. Die Bedeutung urbaner Grünräume nicht nur für die Lebensqualität der Stadtbevölkerung und die touristische Attraktivität, sondern auch als Wertsteigerung von Wohnquartieren und zunehmend harter Standortfaktor im Wettbewerb um Investitionen seien bekannt. − Verglichen mit den „grünen Ambitionen“ von New York bis Paris aber habe Berlin bereits einiges vorzuweisen.

Und so wurde das bekannte Tableau der grünen Metropole entrollt, der nach Wien waldreichsten Europas: das Stadtgebiet zu über vierzig Prozent von Grünflächen, Wald und Wasser eingenommen, mit nach Naturland und FSC zertifizierter Waldbewirtschaftung, 38 Naturschutzgebieten, davon 15, die insgesamt 7,1 Prozent der Landesfläche ausmachen, den Natura-2000-Standards genügend; das Stadtgebiet grün strukturiert durch den inneren Parkring aus Volksparks, Friedhöfen und Kleingartenkolonien um die City, deren grünes Herz der Große Tiergarten sei, und den äußeren, von Seen geprägten Parkring; diese Ringe verbunden durch ein „grünes Achsenkreuz“ − das „Grüne Band“ des ehemaligen Mauerstreifens als Vertikale −, welches ein Netz von Grünzügen und Uferpromenaden symbolisieren und verinselte Elemente des Freiraumsystems verbinden solle; zusammen über 2.500 Parks und Grünanlagen, historische Schmuckplätze, Gartendenkmale und ökologisch besonders wertvolle alte Friedhofsanlagen − und nicht zuletzt 428.000 Straßenbäume.

Diesen Schatz gelte es zu bewahren und weiterzuentwickeln, was besonders seit dem Mauerfall in bedeutendem Umfang habe geschehen können. Im Rückgriff aufs Landschafts- und Artenschutzprogramm sei das Freiraumsystem im Rahmen eines gesamtstädtischen Ausgleichsprogramms durch 16 Parkprojekte ergänzt worden, wovon 13 bereits verwirklicht seien, Mitte dieses Jahres z. B. der Landschaftspark Rudow-Altglienicke. Im Nordosten der Stadt entstehe mit der „neuen Landschaft“ auf dem Barnim das vierte große Naherholungsgebiet der Stadt. − Und besonders auch entlang ihrer Flussläufe, etwa der Spree, sei Berlin grüner geworden…

Brachliegende Industrie- und Bahnanlagen wie das Gleisdreieck böten neue Möglichkeiten für die Gestaltung von Park- und Grünanlagen, ebenso die aufgegebenen bzw. demnächst der Schließung entgegen sehenden Flughäfen Johannisthal, Tempelhof und Tegel, wobei die Gestaltung des Tempelhofer Felds das derzeit anspruchsvollste Projekt sei und Flora und Fauna im Sinne von Biotopverbund, Erhaltung der Biodiversität sowie der positiven Wirkung aufs Stadtklima in besonderem Maße zu berücksichtigen seien.

Hier kam die Staatssekretärin auch auf die immer wachsende Bedeutung von Umweltbildung und Grünen Lernorten zu sprechen, pries den zum zweiten Mal mit außerordentlichem Erfolg veranstalteten Langen Tag der Stadtnatur mit seinen über 100.000 Besuchern, erwähnte Ökowerk, grüne Waldschulen und Freilandlabore, die sich auf dem Tempelhofer Feld ansiedeln ließen und gab sich zuversichtlich, dass die Bewerbung Berlins für die Ausrichtung der Internationalen Gartenbauaustellung (IGA) 2017 auf diesem Areal demnächst auch den Zuschlag erhält.

Gute Absichten

Zur Grüngestaltung gebe es eine vorbildliche Planungsstruktur mit dem im Flächennutzungsplan auf allen Ebenen fest verankerten Naturschutz sowie speziellen Plänen wie dem Friedhofs- oder dem (wenngleich einige Schwierigkeiten bereitenden) Kleingartenentwicklungsplan und etliche weitere Planwerke. Diese setze die Senatsverwaltung gemeinsam mit den Berliner Forsten und bezirklichen Grünflächenämtern, der Grün Berlin GmbH und einer Vielzahl gesellschaftlicher Akteure um: von den Umwelt- und Naturschutzverbänden und Vereinen über die Stiftung Naturschutz Berlin und die der Allianz bis zu den FlaneurInnen, mit denen das Netz der „20 grünen Hauptwege“ verwirklicht wurde − wovon der längste, der Spreeweg von der Müggel-Spree in Köpenick bis in die Döberitzer Heide, 57 km misst −, und den vielen, sich im Sinne der Agenda 21 engagierenden Bürgerinnen und Bürgern…

Angesichts dieses Gemäldes, das natürlich auch die einschlägigen SenStadt-Webseiten oder die Senatsbroschüre „Das Grüne Berlin“ ausbreiten, könnte sich sogar nach Meinung Frau Krautzbergers für Außenstehende tatsächlich die Frage stellen, wozu es denn bei so günstigen Rahmenbedingungen, einer derart positiven Bilanz und so hochgesteckten Zielen noch eigens eines „Grünen Leitbilds Berlin“ bedürfe.

Und so ging die Staatsektärin nach so viel Grünlicht auch kurz auf die Schatten ein: An erster Stelle natürlich die chronisch prekäre Haushaltslage und daher knappe Finanzausstattung der Grünflächenämter, so dass sich eine Diskrepanz auftue zwischen Entwicklung des Freiraumsystems einerseits, Pflege und Erhalt des Vorhandenen andererseits. − Und der Hinweis, es bedürfe einer mit dem Bau von Wohnquartieren integrierten Entwicklung, kündet von handfesten Nutzungskonflikten.

Spezielle Leitbild-Elemente

Zum „Grünen Leitbild Berlin“ gehöre nämlich bspw. auch die Ermöglichung von Zwischennutzungsformen, also temporärer Grünanlagen. Vor allem aber müsse es die gewandelten Anforderungen und unterschiedlichen Ansprüche ans Stadtgrün, sei’s von Kindern/Jugendlichen und Senioren oder von Menschen mit Migrationshintergrund und aus verschiedenen Kulturen reflektieren oder die zunehmende Verlagerung sportlicher Betätigungen outdoor in die Grünanlagen, Trendsportarten wie Beach Volleyball oder die „Raumpioniere“, von interkulturellen Gärten bis Strandbars.

Greenwashing

Wir haben diese seit geraumer Zeit bei unterschiedlichen Anlässen intonierte Erfolgsstory der Senatsverwaltung deshalb so ausführlich dargestellt, weil sie nach unserer Meinung exemplarisch zeigt, wie unterkomplex, problemvergessen, additiv-beliebig und gerade nicht integrativ bei solchem Herangehen ein Leitbild geraten muss. Zum anderen demonstriert das unermüdliche Repetieren dieser Textbausteine, wie resistent sich die Verantwortlichen trotz aller Lippenbekenntnisse zum „kontinuierlichen Dialog mit möglichst vielen Beteiligten“ gegenüber der vielstimmigen Kritik von Umwelt- und NaturschützerInnen, aber auch von den zahlreich sich engagierenden BürgerInnen erweisen, die an vielen der aufgezählten Orte ausgesprochen leidvolle Erfahrungen mit der Park- und Landschaftsgestaltung von SenStadt, Grün Berlin oder auch den diversen Grünflächenämtern gemacht haben und tagtäglich machen.

Ums Berliner Stadtgrün jedenfalls ist es mittlerweile so schlimm bestellt, dass deswegen „Baumpapst“ Prof. Balder auf dem diesjährigen Baumforum schon ein Pedant zum Waldschadensbericht forderte. 1.500 Straßenbäume verlieren wir nach Zählungen des BUND alljährlich, ohne dass sie ersetzt würden, und eine ausgeglichene Baumbilanz weisen nur noch ganze zwei Stadtbezirke auf. Die immer knapperen Mittel der Grünflächenämter haben vielerorts längst zum Pflegenotstand geführt, indem sie keine fachlich qualifizierte gärtnerische Pflege mehr zulassen, sondern nur mehr eine rein reaktive, um der Verkehrssicherungspflicht zu genügen. Denn damit dies möglichst billig geschieht, wird outgescourct, und es kommt allenthalben zur Kaputtpflege mit der Kettensäge.

Gelder fließen nur in die sogenannte historische Rekonstruktion von Parkanlagen und Gartendenkmälern, wobei dann offenbar die Anlagen in jenen Zustand zurückgeschnitten werden sollen, worin sie sich zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung befanden. Wie damit in Zeiten des Klimawandels, des Artensterbens und der feinstaubverseuchten Verkehrsadern das Andenken eines Lenné oder Erwin Barth geehrt werden soll, erschließt sich nur den Eingeweihten. Zahlreichen innerstädtischen Parks wie z. B. der Kleistpark sollen auf Grund der Bereitstellung von EU-Mitteln demnächst jenes Schicksal blühen, wovor BürgerInnenengagement den Grünzug entlang des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals in Kreuzberg (wenigstens teilweise) bewahren konnte: Aller „Wild“- und Unterwuchs wird ausgejätet und gefällt, um Sichtachsen freizulegen, Transparenz zu schaffen und sog. Angsträume zu beseitigen. Jüngstes haarsträubendes Beispiel (nach unserer Kenntnis) der Cherusker Park in Schöneberg.

Die Forderungen von Fachkundigen, Naturschutzverbänden und engagierten BürgerInnen, eigendynamische Entwicklungen, natürliche Verjüngung, Biotopholz, kurz: mehr Wildnis im urbanen Raum zuzulassen − und zwar nicht nur wegen des Artenschutzes und Naturerlebens, sondern durchaus auch aus monetären Gründen − und vor allem das Totschlagsargument „Verkehrssicherungspflicht“ endlich zu entschärfen, stoßen seit Jahren auf taube Ohren.

Wie die Gewinnung neuer Parkflächen auf Bahnbrachen wie dem Gleisdreieck aussieht, zeigt das weitgehend gerodete und planierte Gelände des ehemaligen Anhalter Güterbahnhofs [siehe auch hier]. Der Verlust eines europaweit einzigartigen innerstädtischen Ensembles von Biotopen ist zu beklagen! Jetzt wendet sich Grün Berlin dem Westteil des Areals auf Schöneberger Gebiet zu und will nördlich der U2 mit Ausgleichsmitteln eine monströse multifunktionale, selbstverständlich versiegelte Sportfläche schaffen. Ob dies mit A&E-Geldern überhaupt zulässig ist, wird derzeit geprüft. Anschließend geht’s an den „Flaschenhals“, der nach Auskunft einer BUND-Vertreterin ökologisch noch wertvoller ist als das „Wäldchen“ im Ostteil.

Wenigstens für diese Restbrache sollten die Naturschutzverbände dringend eine Unterschutzstellung fordern, wie sie es auch für das 108 Hektar große Gelände des Biesenhorster Sand zwischen Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf in Karlshorst getan haben, ebenfalls eine Bahnbrache mit enormem Reichtum an seltenen und gefährdeten Arten, in dessen Erhalt NABU-Aktive seit zwanzig Jahren viel Zeit und Kraft investieren, das aber nächstens womöglich von einer Autobahn, der Osttangente, zerteilt werden soll.

Tempelhofer Parklandschaft als anspruchvollstes Projekt

Beim ehrgeizigen Projekt der „Erschließung“ des Tempelhofer Felds, womit vorsorglich schon mal Grün Berlin betraut wurde, derweil auf virtueller wie realer Ebene schon seit etlichen Jahren eine „mehrstufige“ Bürgerbeteiligungsmaschinerie läuft mit Online-Dialog, Bürgerversammlungen und -befragungen (wie letzten Juni, wo 6000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte BewohnerInnen der Anrainerbezirke ihre Meinung zu vier Planungsentwürfen kundtun sollten) und nun − nachdem unterm Motto „Tempelhof für Alle!“ schon nachdrücklich am Zaun gerüttelt wurde, sich BürgerInnenbeteiligung plötzlich in der Teilnahme an kostenlosen Bustouren und geführten Spaziergängen artikulieren soll, natürlich auch in Diskussionen besagter Entwürfe und im Einbringen eigener Vorschläge −, nun will der Senat „Ende des Jahres einen offenen landschaftsplanerischen Ideen- und Realisierungswettbewerb ausloben, in dessen Wettbewerbsvorgaben die Anwohnerwünsche einfließen werden“.

Hier ist selbstredend ganz besondere Wachsamkeit angezeigt, damit eine ökologisch zukunftsweisende Wohnbebauung am Rande der großen Weite einer ausgedehnten Parklandschaft mit „multifunktionalen“ Rändern nicht die heftig umworbenen Angehörigen der arrivierten Kreativwirtschaft um den Preis anzieht, dass infolge allgemeiner Wohnwertsteigerung auch in den Nachbarbezirken − Stichwort: Gentrifizierung − sozial Schwächere verdrängt werden. Bei einer solchen Versöhnung von Ökologie und Ökonomie bliebe das Soziale und Gerechte einmal mehr auf der Strecke: einer unabdingbaren breiten Akzeptanz grüner Modellprojekte nicht unbedingt förderlich.

Für naturnahe, frei zugängliche  Gewässerufer!

Dass Frau Krautzberger ihre Behauptung, besonders entlang der Gewässer sei die Stadt grüner geworden, ausgerechnet mit Verweis auf die Spree belegt, zeugt schon angesichts deren in der City massiv eingemauerten und mit sterilem Designer-Grün gezierten Lauf von einiger Unverfrorenheit. Dass aber der Senat gewillt scheint, am ohne zureichende öffentliche Partizipation geplanten MediaSpree-Projekt in F’hain-Xberg stur festzuhalten und sich über den erklärten mehrheitlichen Bürgerwillen, die Flussufer grün, unverbaut und frei zugänglich zu halten, hinwegzusetzen, wenn der Bezirk nicht pariert, also Kompromisse schließt, die von den Kernforderungen des siegreichen BürgerInnenentscheids nur kümmerliche Reste übriglassen, zeigt schlagend, welchen Stellenwert die herrschende Stadtplanung dem Erhalt und der Entwicklung von Grünräumen einerseits, der BürgerInnenbeteiligung andererseits zumisst.

Selbstverständlich ließ die Staatssekretärin auch unerwähnt, dass es nicht der Senatsverwaltung, sondern dem Einsatz von BürgerInnen, Naturschutzverbänden und engagierten PolitikerInnen zu danken ist, dass ein Kahlschlag am LWK verhindert wurde, denn für den ist ja angeblich der Bund alleinzuständig. − Doch zurück zum Leitbild:

Ein impressionistischer Entwurf

Die Suchbewegung in Richtung „Grünes Leitbild Berlin“ mit der Perspektive 2040, wie sie Prof. Carlo Becker vom Planungsbüro bgmr und Dr. Friedrich von Borries von raumtaktik (mit nur vier Wochen Zeit) unternahmen, schien uns, ums gleich vorwegzunehmen, trotz gegenteiligen Versicherns methodisch doch noch ein Stück weit in der Postmoderne zu stecken, im Betonen des Polyphonen und Polyvalenten mit der Gefahr einer Beliebigkeit des anything goes.

Frappierend zunächst, einfach anhand von Google-Hits zu zeigen, wie wenig zumindest im Web die „grüne Metropole“ Berlin im Vergleich zu Paris, London oder gar dem Spitzenreiter New York, dessen Stadtgebiet doch nur 15 Prozent davon aufweist, mit dem Schlagwort grün assoziiert wird.

Die Abfolge verschiedener Leitbilder der Stadtplanung/-entwicklung, verschiedener Leitbildstrategien seit den 1980ern – von der ökologischen Forderung des Waldumbaus der Fichten- und Kiefer-Monokulturen zum Leitbild „Ökologie in der Großstadt“, „Natur in die Stadt“, über die Forderung gleicher Lebensqualität in Ost und West zu Leitbildern, die auf die bewusster werdende Klimakrise antworten, wie das des ökologischen Fußabdrucks, der Klimaneutralität und CO2-Freiheit bis hin zum offiziell beschlossenen Hamburger Leitbild „Wachsen mit Weitsicht“… − dieser schnelle Paradigmenwechsel zeige die geringe Halbwertzeit unserer Leitbilder. Nun stehe erneut ein Update an im Ausgang von der Frage, auf welche gesellschaftlichen Transformationsprozesse ein solches Leitbild reagieren müsse, seien es Migration, Segregation, Parallelwelten, Pluralität der Lebensstile, andererseits aber auch die Notwendigkeit lokaler Klimaadaptionen.

Multicodiertheit des urbanen Grün

Auf die Multicodiertheit des Begriffs Grün wurde viel Wert gelegt und durch seine Skandierung in den elf(?) Hauptidiomen der Metropole augen- und ohrenfällig gemacht. Diese Vielfalt sei integriert zu denken, müsse bspw. verschiedenste sportliche Aktivitäten, interkulturelle Gärten und selbstbestimmtes Guerilla-Gardening einbegreifen, wobei die verschiedenen Interessen und Nutzungsanforderungen quasi zu personifizieren seien: neben, hinter- und übereinander das ästhetische Grün, das repräsentative Grün, das Seniorengrün, das Wassergrün, das sportliche Grün usf. Und es sei zu fragen, welche Raumtypologien zu stärken seien und welche durch neue Interessen und Bedürfnisse entstünden. Insbesondere müsse die Wahrnehmung und Wertschätzung dieser Multicodierung gestärkt werden, aus der ein Patchwork, ein gesellschaftliches Flirren entstünde. Der Teilraum konstituiere sich als Gegenraum, das Grün sei nicht länger der Raum des Grünflächenamts, doch leitend bleibe bei allem die klimatologische Adaption. Ressortübergreifend müsse gedacht werden, und nicht zuletzt sei das Grün ein ökonomischer Raum, weil seine Pflege Geld kostet. − Unterbelichtet blieb u. E. hier der Aspekt der gratis erbrachten Serviceleistung intakten Stadtgrüns, deren Wegfall sich etwa in seinen gesundheitlichen Folgen, sinkender Arbeitsproduktivität, jugendlichem Vandalismus u.ä. als gesellschaftlicher Kostenfaktor niederschlägt.

Becker und von Borries fordern eine Qualitätsoffensive. Das Leitbild müsse als Entscheidungshilfe für die Verwaltung allen genannten Anforderungen gerecht werden, zugleich aber auch das spezifisch Berlinerische in den Mittelpunkt stellen. − Weitere Workshops sollen folgen.

Ranking und Benchmarking

Wie gesagt: für uns flimmert das Bild noch zu viel. Allzu leicht kann die Verwaltung bzw. ihre Delegierten mit Verweis auf die Vielfältigkeit der Interessen und Perspektiven unversehens ihre eigenen schematischen Lösungen durchsetzen. Und natürlich vermissen wir wiederum eine Reflexion über die Modi der Einbindung der BewohnerInnen, der Sicherstellung von Transparenz, offenem Dialog und echter Interaktion.

Verfahrensaspekte und der prozessuale Charakter müssen auch laut Becker und von Borries ebenfalls integriert werden, ausgehend von der Frage, wohin sich die Stadt überhaupt entwickeln will. Hierzu bedarf es einer Trägerstruktur und dann Bündelungs-, und eben Kommunkations- und Beteiligungsstrategien! Das Mediationsverfahren zum LWK könnte nach unserer Meinung in diesem Kontext trotz seiner Schwächen und Grenzen durchaus Vorbildcharakter haben, indem es vor dem Ausgleich zwischen den verschiedenen Bedürfnissen, Interessen und Nutzungsanforderungen der unterschiedlichsten Stakeholders um deren Offenlegung und Rechtfertigung geht. Doch dies muss im Bewusstsein der epochalen Herausforderungen und Existenzkrise geschehen, denen sich unsere Zeit nun mal gegenüber sieht, darf weder Rhapsodie noch Potporrie bleiben, und das Mediieren zwischen zunächst als durchweg gleichrangig begriffenen Interessen mit anschließendem konsensuellem Entscheid über ihr Ranking offenbart in unseren Augen eine immanente Grenze des Verfahrens, wenn sich nicht letztlich und tatsächlich die Stärke des rationalen, empirisch abgesicherten Arguments durchsetzen kann, auch wenn ihm nicht alle Stake- und Shareholder beistimmen!

An der Diskussion der Hauptcrux indessen: dass die SenatsvertreterInnen zwar an der Mediation zur „Zukunft des LWK“ unter Beteiligung von Naturschutzverbänden, Vereinen und AnwohnerInnen teilnehmen, sich aber dann, wenn es um die komplexe, „integriert“ zu planende Qualifizierung dieser grünen, von Lenné konzipierten Ost-West-Achse entlang, inzwischen aber inmitten des Stadtgebiets geht, stur für unzuständig erklären und bzgl. des Bundes geradezu − wie etwa nach der Föderalismusreform im Bildungsbereich − ein Kooperationsverbot beobachten −, diese Diskussion wurde leider gleich im Keim als out of topic abgewürgt, und die entsprechenden Fragen, warum sich z. B. der Senat ausgerechnet bei der Qualifizierung des LWK als integraler Bestandteil der „Grünen Achse“ Berlins ungeachtet aller Kampagnen Engagierter und einschlägiger Stellungnahmen aus dem BMVBS beharrlich für unzuständig erklärt, solche Fragen blieben unbeantwortet.

Leitbild-Kampagne bis Ende 2010

Abteilungsleiter Nagel gab sich in seinem Resümee angesichts der Referate und Diskussionen inspiriert, euphorisiert, ja glücklich. Einerseits sieht er die Funktion eines „Leitbilds Grünes Berlin“ auch darin, die Verwaltungsarbeit zu entlasten, andererseits aber erkenne er die Erfordernis einer regelrechten Kampagne fürs Grün, die es nötig mache, die Arbeit gänzlich neu auszurichten. Dazu bedürfe es neben dem Leitbild aber auch eines Strukturbilds. − Er könne sich den ganzen Tag ärgern (wolle es aber nicht), weil allen Überschwang sofort die Verpflichtung dämpfe, nur das zu planen, wofür auch die investiven Mittel gesichert seien.

Und dann hörten wir wieder von der Absicht, „die verschiedenen Initiativen mitzunehmen“ (die ja z. B. das Gleisdreieck gesichert hätten!), und eine „Balance zu finden zwischen Top down [Beisp. Sarkozy] und unstrukturiertem Bottom up.“ Schließlich bedürf es der Entwicklung von Implementierungsstrategien und eines Benchmarking gelungener Gestaltung.

Im November soll die nächste Veranstaltung folgen: Wir sind gespannt, ob „die Initiativen“ diesmal wenigstens eingeladen, wenn nicht schon „mitgenommen“ werden.